Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ersatzansprüche für rechtswidrig erbrachte Leistungen. Leistungsbezug ohne Anrechnung von Arbeitslosengeld. Verschulden des gesetzlichen Betreuers. Verpflichtung zur Sichtung der Kontoauszüge des Betreuten und zur Mitteilung des Arbeitslosengeldbezuges. Kausalzusammenhang. Adäquanztheorie. wesentliche Mitverursachung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Ersatzanspruch des Jobcenters nach § 34a SGB II erfordert eine wesentliche Mitverursachung durch den Ersatzpflichtigen. Dies setzt ua voraus, dass das Verhalten des Ersatzpflichtigen nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge dazu geeignet war, die Leistungserbringung herbeizuführen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.05.2021; Aktenzeichen B 4 AS 66/20 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 3. Dezember 2019 und der Bescheid des Beklagten vom 22. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2015 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 3.824,81 € festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nach § 34a Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 3.824,81 € umstritten.

Der 1949 geborene Kläger wurde im August 2012 zum Betreuer des J. (künftig S.) bestellt. Sein Aufgabenkreis umfasste die Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Geltendmachung von Ansprüchen auf Hilfe zum Lebensunterhalt sowie die Entgegennahme und das Öffnen der Post sowie Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten.

Der von ihm betreute S. beantragte am 5. September 2012 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten. Die am 17. September 2012 ausgefüllten Antragsformulare waren sowohl von S. als auch vom Kläger unterschrieben. Einkommen oder Vermögen wurden hierbei nicht angegeben. Im Hauptvordruck wurde im Abschnitt 6 angegeben, dass S. in den letzten fünf Jahren vor Antragstellung sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, und zwar von September 2010 bis August 2012 bei der Fa. K. als Auszubildender. In der Anlage EK (Einkommenserklärung) wurde der Bezug von Arbeitslosengeld (Alg I) ebenso verneint wie die Frage, ob andere Leistungen beantragt seien oder beabsichtigt sei, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Vorgelegten Kontoauszügen waren Lohnzahlungen der Fa. K. GbR im Juni, Juli und August 2012 zu entnehmen.

Aus den Verwaltungsakten des Beklagten ergibt sich eine persönliche Vorsprache in Begleitung des Betreuers am 17. September 2012. Arbeitslosengeld wurde bereits am 5. September 2012 beantragt.

Mit an den Kläger adressiertem Bescheid vom 17. September 2012 gewährte der Beklagte dem S. Leistungen für den Zeitraum 1. September 2012 bis 28. Februar 2013 in Höhe von 628,36 € monatlich, Einkommen wurde hierbei nicht berücksichtigt. Es wurde darauf hingewiesen, dass u.a. die Beantragung/Bewilligung von Arbeitslosengeld I mitzuteilen sei.

Mit - ebenfalls an den Kläger adressierten - Bescheid vom 19. September 2012 gewährte die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit L. (BA) dem S. Arbeitslosengeld I für den Zeitraum 8. August 2012 bis 29. Juli 2013 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 11,77 €. Der Kläger bestreitet den Zugang des Bescheides. Die Bewilligung von Arbeitslosengeld I teilten weder S noch der Kläger dem Beklagten mit. Am 4. Oktober 2012 stellte die Raiffeisen-Volksbank eG M. auf Veranlassung des Klägers die Erstellung der Kontoauszüge auf einen monatlichen Postversand um. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Kontoauszüge sowohl an den S. als auch an den Kläger versandt, wobei der Kläger den Erhalt der Kontoauszüge bestreitet.

Auf den Fortzahlungsantrag des S. vom 28. Januar 2013, der erneut von S. und dem Kläger unterschrieben war und keine Angaben bezüglich eventueller Einkünfte enthielt, gewährte der Beklagte dem S. mit Bescheid vom 14. Februar 2013 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 1. März bis 31 August 2013 in Höhe von 662 € monatlich. Auch hierbei wurde keinerlei einsetzbares Einkommen berücksichtigt.

Mit Bescheid vom 17. Juni 2013 führte die BA mit an den Kläger adressierten Bescheid aus, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld des S. voraussichtlich am 29. Juli 2013 ende.

Laut Vermerk in der Verwaltungsakte informierte der Kläger den Beklagten am 15. Juli 2013 telefonisch darüber, dass die Agentur für Arbeit Leistungen an den S. erbringe. Auf Anforderung des Beklagten übersandte der Kläger die Entgeltbescheinigung der BA und reichte zudem die Kontoauszüge des S. ein, welche als Adressaten den S. z. Hd. des Klägers auswiesen. Hieraus ergaben sich insbesondere die folgenden Gutschriften der BA:

- 24. September 2012 für den Zeitraum 8. August bis 31. August 2012

 282,48 €

- 28. September 2012 für September 2012

 353,10 €

- 31. Oktober 2012 für Oktober 2012

 353,10 €

- 30.11.2012 für November 2012

 353,10 €

- 28. Dezember 2012 für Dezember 2012

 353,10 €

Die Kontoauszüge waren in der Zeit vom 5. Oktober 2012 bis 4. Jan...

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