Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts. unrichtige Angaben. Umkehr der Beweislast. Erschwerung oder Verhinderung der Sachverhaltsaufklärung durch unzureichende Mitwirkung
Leitsatz (amtlich)
Bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden kommt eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Leistungsempfängers in Betracht, wenn in dessen persönlicher Sphäre oder in dessen Verantwortungsbereich wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angaben oder unzureichende Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung erschwert oder verhindert wird (Anschluss ua an BSG vom 15.6.2016 - B 4 AS 41/15 R = SozR 4-4200 § 9 Nr 14).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 29. Januar 2015 geändert.
Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 8. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2014 wird aufgehoben, soweit die Erstattungsforderung den Betrag von 47.748,70 € übersteigt.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zu gelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem der Beklagte die Leistungsbewilligungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2013 aufgehoben hat und die Erstattung gezahlter Leistungen in Höhe von 53.399,10 € verlangt. Hintergrund ist die Feststellung des Beklagten, dass der Kläger in seinen Leistungsanträgen das Zusammenleben mit einer Partnerin und dem gemeinsamen Sohn nicht angegeben hat.
Der Kläger ist 1948 geboren, geschieden und hat mit der 1969 geborenen Frau J. einen 2002 geborenen unehelichen Sohn (K.) Seit seiner Geburt ist der Kläger unter der Anschrift L. in AX/AW gemeldet, Frau J. ist dort seit dem 1. Oktober 2001 gemeldet, der gemeinsame Sohn seit dem 21. Februar 2002 (Geburtsdatum). Unter der genannten Anschrift befindet sich die Hofstelle der zwischenzeitlich verstorbenen Eltern des Klägers. Auf dieser Hofstelle befanden sich im streitbefangenen Zeitraum nach durchgeführten Um-/Ausbaumaßnahmen drei Wohnungen:
Die elterliche Wohnung, die nach dem Tod der Eltern des Klägers (2006 und 2011) von dessen Tochter N. und deren Familie bewohnt wurde (postalische Anschrift: L.),
eine Einliegerwohnung, die der Kläger ursprünglich mit seiner geschiedenen Frau und den Kindern aus dieser Ehe bewohnte, in die im Oktober 2001 Frau J. einzog und in der der gemeinsame Sohn K. aufwuchs (für diese Wohnung sind dingliche Wohnrechte zugunsten des Klägers, Frau J. und des Sohnes K. bestellt; postalische Anschrift: L.),
eine weitere Wohnung in einem ehemaligen Wirtschaftsgebäude, welche von der Tochter P. des Klägers und deren Familie bewohnt wurde (postalische Anschrift: Q.).
Das Hofgrundstück stand ursprünglich im Alleineigentum des Vaters des Klägers, nach dessen Tod im Jahr 2011 wurde die Schwester des Klägers, Frau R., im Wege der Erbfolge Eigentümerin. Im Jahr 2012 erwarb die Tochter P. das Grundstück.
Der bereits langjährig im Bezug von Arbeitslosenhilfe stehende Kläger stellte am 14. Oktober 2004 bei der seinerzeit zuständigen S. einen formularmäßigen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Er gab als Adresse an: “Q., bei T., AY AX„. Ferner gab er an, dass er alleinstehend sei. Im Hauptantrag bejahte er in der Rubrik “III. Persönliche Verhältnisse der mit dem Antragsteller/der Antragstellerin in einem Haushalt lebenden weiteren Personen„ die Frage danach, ob weitere Angehörige im gemeinsamen Haushalt lebten. Er trug in dieser Rubrik als Haushaltsangehörige seine Tochter P., seinen Schwiegersohn U. und seine Enkel V. und W. ein. In der Rubrik “VIII. Unterhaltspflichtige Angehörige außerhalb der Haushaltsgemeinschaft„ trug er seinen unehelichen Sohn K., geb. 21. Februar 2002, mit der Anschrift L., AY AX ein. Mit seiner Unterschrift im Hauptvordruck versicherte der Kläger, dass die von ihm gemachten Angaben zutreffend seien, und verpflichtete sich, Änderungen insbesondere der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen. In dem Zusatzblatt 1 zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gab der Kläger an, er wohne mietfrei bei seiner Tochter (“vorübergehende Lösung bis neue Wohnung da ist, dann Zusammenzug m. Freundin„). Als in der Wohnung lebende Personen führte der Kläger in diesem Vordruck erneut neben seiner Person die Tochter P., den Schwiegersohn und die beiden Enkel auf. Im Zusammenhang mit dem Leistungsantrag des Klägers gab die Tochter P. mit Datum vom 10. Oktober 2004 eine formularmäßige Erklärung ab, wonach sie den in ihrer Haushaltsgemeinschaft lebenden Kläger nicht finanziell unterstütze. Aufgrund dieser Angaben bewilligte die D. dem Kläger mit Bescheid vom 30. November 2004 Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2005 in Höhe der Regelleistung (345 € monatl...