Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung. Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Vertretenmüssen. Bestehen eines Abschiebungsverbots. - siehe dazu anhängiges Verfahren beim BSG: B 7 AY 1/17 R

 

Orientierungssatz

1. Voraussetzung für eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Nr 2 AsylbLG aF ist, dass das vorwerfbare Verhalten des Leistungsberechtigten die Ursache dafür ist, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Eine Kausalität ist zu verneinen, wenn der Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen (auch) aus anderen vom Leistungsberechtigten nicht zu vertretenden Gründen ausgeschlossen ist, beispielsweise bei Reiseunfähigkeit oder bei Bestehen eines Abschiebungsverbots.

2. Für die Frage, ob der Leistungsberechtigte die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen zu vertreten hat, kommt es nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs 7 AufenthG 2004 behördlich oder verwaltungsgerichtlich anerkannt worden ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.02.2019; Aktenzeichen B 7 AY 1/17 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 23. Oktober 2012 geändert, soweit der Beklagte zur Nachzahlung von Leistungen an den Kläger verurteilt worden ist.

Der Beklagte wird unter Änderung seiner Bescheide vom 10. August 2006, 16. Oktober 2006, 29. Januar 2007, 27. Februar 2007, 19. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2007 und in der Fassung der Bescheide vom 29. Januar 2008 und 1. Juli 2008 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. September 2006 bis zum 18. März 2007 weitere Leistungen in Höhe von 264,33 € und für die Zeit vom 4. Dezember 2007 bis zum 31. Oktober 2008 weitere Leistungen in Höhe von 614,89 € zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Kläger einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit von September 2006 bis Oktober 2008 haben. Insoweit ist im Berufungsverfahren noch im Streit, ob der Beklagte die Leistungen der Kläger zu 1 und 2 zu Recht nach § 1a AsylbLG gekürzt hat.

Der 1971 geborene Kläger zu 1 (im Folgenden: Kläger) und die 1971 geborene Klägerin zu 2 (im Folgenden: Klägerin) sind miteinander verheiratet und haben ebenso wie ihre 1997 und 2000 geborenen Kinder, die Kläger zu 3 und 4, die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit. Seit der Einreise im April 2003 hält sich die Familie in Deutschland auf, wobei die Kläger falsche Angaben über ihre Identität machten (Name und Geburtsdatum). Sie offenbarten die wahre Identität gegenüber der Ausländerbehörde des Beklagten im Juni 2012, indem sie Pässe aus Aserbaidschan vorlegten.

Mit Bescheid vom 15. Mai 2003 hatte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (später Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; im Folgenden einheitlich: Bundesamt) die Asylanträge der Kläger als offensichtlich unbegründet abgelehnt und das Nichtvorliegen eines Abschiebungsverbots und von Abschiebungshindernissen festgestellt. Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Osnabrück vom 25. August 2003 - 5 A 258/03 -). Einen im Juli 2004 gestellten Folgeantrag lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 23. August 2004 ab. Die hiergegen beim VG Osnabrück erhobene Klage nahmen die Kläger am 31. Januar 2005 zurück (- 5 A 520/04 -). Im Februar 2005 beantragte der Kläger die Änderung des Bescheides vom 15. Mai 2003 und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Zur Begründung verwies er insbesondere darauf, dass er unter Hepatitis C leide und hiervon erst seit November 2004 Kenntnis habe. Das Bundesamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. März 2005 ab. Das VG Osnabrück wies die Klage hiergegen mit Urteil vom 12. September 2005 (- 5 A 141/05 -) ab und stützte dies maßgeblich darauf, dass die Hepatitis-C-Erkrankung im Oktober 2004 diagnostiziert und der Folgeantrag damit nicht innerhalb der Dreimonatsfrist nach § 51 VwVfG gestellt worden sei. Im Übrigen sei der Kläger zur Rettung seines Lebens nicht zwingend auf eine antivirale Therapie angewiesen. Einen Beweisantrag des Klägers, der die Therapierbarkeit der Hepatitis-C-Erkrankung betraf, lehnte das VG im Urteil als verspätet ab. Einen weiteren am 13. November 2006 gestellten Wiederaufnahmeantrag, den der Kläger wiederum vor allem auf die Hepatitis-C-Erkrankung stützte, lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 23. November 2006 ab. Im anschließenden Klageverfahren hob das VG Hannover den Bescheid vom 23. November 2006 auf und verpflichtete das Bundesamt zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Person des Klägers. Die antivirale Therapie der Hepatitis-C-Erkrankung sei zwar inzwischen abgeschlossen, der Kläger leide jedoch weiterhin an einem depressiven Verstimmungszustand und ...

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