Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. Einkünfte aus Jugendfreiwilligendienst bzw freiwilligem sozialen Jahr. Erwerbstätigkeit. Taschengeld. Analogie
Leitsatz (amtlich)
Ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) stellt keine Erwerbstätigkeit dar; die Freibetragsregelung für Erwerbstätige (§ 11b Abs 3 SGB 2) findet auf Einkünfte, die im Rahmen eines FSJ erzielt werden, keine Anwendung.
Normenkette
SGB II § 11b Abs. 3; Alg-II-VO § 1 Abs. 7; JFDG § 1 Abs. 2
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 12. Juni 2013 wird aufgehoben.
Außergerichtliche Kosten der Beteiligten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die 1986 geborene Klägerin begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Februar bis zum 30. Juni 2010, insbesondere vor dem Hintergrund der Geltendmachung von Absetzbeträgen in Bezug auf Einkommen aus der Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJ).
Die im streitgegenständlichen Zeitraum im Leistungsbezug von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB), Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - stehende Klägerin leistete 2008/09 ein freiwilliges soziales Jahr bei der gemeinnützigen J., das sie anschließend für den Zeitraum vom 1. August 2009 bis zum 31. Juli 2010 verlängerte. Mit Änderungsbescheid vom 24. Februar 2010 bewilligte der Beklagte ihr Leistungen für den Zeitraum vom 1. Februar bis zum 30. April 2010 in Höhe von monatlich 291,51 €. Die Berechnung erfolgte in der Weise, dass dem maßgeblichen Regelsatz der Klägerin i. H. von 359,00 € die Kosten der Unterkunft i. H. von 212,71 € hinzu gerechnet wurden (zusammen 571,71 €) und das Einkommen der Klägerin wie folgt in Abzug gebracht wurde: Von den insgesamt erhaltenen Einkünften aus der Tätigkeit im FSJ, die sich auf 399,00 € monatlich beliefen, waren 194,00 € als Taschengeld und 205,00 € als Verpflegungszuschuss deklariert. Das Taschengeld behandelte der Beklagte als Erwerbseinkommen und brachte hiervon in Anwendung der §§ 11, 30 SGB II einen Freibetrag in Höhe von 88,80 € in Abzug, zusätzlich zur Einkommensbereinigung in Höhe von 30,00 €, so dass insgesamt eine Einkommensanrechnung in Höhe von 280,20 € vorgenommen wurde. Hieraus errechnet sich der monatliche Leistungsbetrag in Höhe von 291,51 € (Bedarf 571,71 € abzüglich 280,20 €).
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und vertrat zunächst die Auffassung, es seien insgesamt 159,80 € als Freibeträge auf ihr Erwerbseinkommen abzuziehen, denn die gesamten Einkünfte aus dem FSJ müssten als Erwerbseinkommen Berücksichtigung finden. Mit Änderungsbescheid vom 11. März 2010 erhöhte der Beklagte den monatlichen Leistungsbetrag geringfügig auf 291,83 € wegen einer Änderung der Warmwasserpauschale. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin durch Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2010 mit der Begründung zurück, es handele sich beim Verpflegungszuschuss keinesfalls um Erwerbseinkommen. Das Taschengeld sei zugunsten der Klägerin als vollwertiges Erwerbseinkommen und nicht als “sonstiges Einkommen„ mit einem begrenzten Freibetrag von lediglich 60,00 € gemäß der Regelung in § 1 Abs. 1 Nr. 13 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - Alg II-V - in der seinerzeit gültigen Fassung vom 18. Dezember 2008 (BGBl. 2008 Bd. I, S. 2780; seit 1. Januar 2012 bei gleichzeitiger Erhöhung des Freibetrages geregelt in § 1 Abs. 7 Alg II-V, Verordnung vom 19. Dezember 2011, BGBl. 2011 Bd. I, S. 2833) - qualifiziert worden.
Die Klägerin hat am 30. Juni 2010 Klage erhoben. Sie interpretiert die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 13 Alg II-V wie folgt: Nach dieser Bestimmung sei ein Betrag in Höhe von 60,00 € vom Taschengeld nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Jugendfreiwilligendienstgesetzes (JFDG), das ein Teilnehmer an einem Jugendfreiwilligendienst erhalte, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Dementsprechend sei dieser Betrag von ihrem Taschengeld in Höhe von 194,00 € vorab in Abzug zu bringen, sodass hier lediglich ein Teilbetrag in Höhe von 134,00 € verbleibe. Von diesem Betrag wiederum seien in Anwendung des Freibetrages für Erwerbstätige in der seinerzeit geltenden Fassung 100,00 € abzusetzen, zuzüglich 20 % des verbleibenden Betrages von 34,00 € (§§ 11 Abs. 2 S. 2, 30 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a. F.), mithin eines weiteren Absetzbetrages in Höhe von 6,80 €. Somit seien lediglich 27,20 € des Taschengeldes als Einkommen anrechenbar. Hinzu komme der Betrag der Verpflegungspauschale in Höhe von 205,00 €, so dass insgesamt ein anrechenbares Einkommen in Höhe von 232,20 € bestehe.
Gegenstand von Widerspruchsbescheid und Klage war auch der Folgebescheid des Beklagten für den Zeitraum vom 1. Mai 2010 bis zum 31. Oktober 2010, für welchen dieser gemäß Bescheid vom 18. März 2010 vorläufig Leistungen in Höhe von monatlich 291,83 € bewilligt hatte. Aufgrund eines weiteren Änderungsbescheides vom 23. Juni 2010 hinsichtlich der Neuberechnung der Leistungen...