Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten. Feststellung der Sozialwidrigkeit des Verhaltens durch einen Grundlagenbescheid. Folgebescheide. Kausalität des sozialwidrigen Verhaltens für den Ersatzanspruch und Bezifferung desselben. Verbindung des Bescheides zur Festsetzung der Höhe des Ersatzanspruchs mit einer Aufrechnungserklärung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Sozialwidrigkeit eines Verhaltens iS des§ 34 SGB II kann zulässig mit einem Grundlagenbescheid inhaltlich bindend festgestellt werden (vglBSG vom 29.8.2019 - B 14 AS 49/18 R = FEVS 71, 433 = juris RdNr 17).
2. Im Rahmen der rechtlichen Überprüfung der anknüpfend an einen solchen Grundlagenbescheid ergehenden Folgebescheide ist nur zu prüfen, ob die nach§ 34 SGB II erforderliche Kausalität zwischen dem konkret geltend gemachten Erstattungsanspruch und dem sozialwidrigen Verhalten vorlag und ob die Ersatzansprüche zutreffend beziffert sind (vgl LSG Celle-Bremen vom 26.1.2023 - L 11 AS 346/22 = juris RdNr 32).
3. Die gemäߧ 43 Abs 1 Nr 2 SGB II erfolgende Erklärung der Aufrechnung mit einer Erstattungsforderung gemäߧ 34 Abs 1 SGB II kann grundsätzlich bereits zusammen in einem Bescheid mit der Erstattungsfestsetzung erfolgen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 11. August 2022 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin zu 1. 35% der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Weitere außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach§ 34 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum August 2017 bis Mai 2018.
Die K. geborene Klägerin zu 1. war ausweislich der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers vom 15. August 2017 und des unbefristeten Arbeitsvertrags vom 11. April 2017 ab dem 19. April 2017 erwerbstätig bei der Firma L. als „Helfer/in Kunststoff und Kauts“ in M. mit 35 Wochenstunden, einem Bruttoentgelt in Höhe vom EUR 9,23 je Stunde (§ 4 Arbeitsvertrag) und hieraus erzielten und jeweils zum 15. des Folgemonats fälligen monatlichen Bruttoentgelten in Höhe von EUR 516,88 für April 2017, EUR 1.162,98 für Mai 2017, EUR 1.198,51 für Juni 2017 und 267,13 für Juli 2017.
Am 7. August 2017 beantragte die Klägerin zu 1. beim Beklagten die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen, u.a. unter Angabe des Auszugs aus der Wohnung des Vaters und des zwischenzeitlichen Wohnens bei Freunden sowie unter Vorlage einer fristlosen Kündigung der Firma L. vom 13. Juli 2017, die mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 15. August 2017 damit begründet wurde, dass die Klägerin zu 1. ab dem 27. Juni bis zum 13. Juli 2017 nicht mehr zur Arbeit erschienen sowie nicht erreichbar gewesen sei und sich auch nicht gemeldet habe.
Mit Schreiben vom 7. August 2017 und Erinnerungsschreiben vom 1. und 8. September 2017 forderte der Beklagte die Klägerin zu 1. zur Prüfung eines Leistungsanspruchs nach dem SGB II u.a. auf, Arbeits- und Einkommensbescheinigungen bzgl. der Tätigkeit bei der Firma L. einzureichen sowie eine Stellungnahme zur Kündigung und Kontoauszüge ab dem 26. April 2017.
Die Klägerin zu 1. erklärte dazu mit Schreiben vom 14. September 2017, zum Zeitpunkt der Kündigung habe sie bei ihrem leiblichen Vater in M. gewohnt, der sie nach einem Konflikt vor die Tür gesetzt habe mit der Folge einer Obdachlosigkeit. Sie habe weder die finanziellen Mittel noch eine Möglichkeit gehabt, dies dem Arbeitgeber mitzuteilen. Sie habe daher die Kündigung erhalten, was sie bedaure, da ihr die Tätigkeit gefallen habe.
Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 14. September 2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. unter durchgehender Berücksichtigung einer monatlichen Regelleistung in Höhe von EUR 409,00 Leistungen für den Zeitraum August 2017 bis Juli 2018, für August 2017 in Höhe von EUR 315,04 nach Abzug des bereinigten Restgehalts in Höhe von EUR 93,96 und im Folgezeitraum unter Berücksichtigung der für die ab dem 16. September 2017 gemietete Wohnung anfallenden Kosten für Unterkunft und Heizung (KdUH) in Höhe von monatlich EUR 405,50 (EUR 241,50 Grundmiete zzgl. EUR 95,00 Nebenkosten zzgl. EUR 69,00 Heizkosten) sowie nach Abzug von Kindergeld in Höhe von monatlich EUR 192,00 für September 2017 EUR 449,75, für die Monate Oktober bis Dezember 2017 jeweils EUR 652,50 und für die Monate Januar bis Juli 2018 jeweils EUR 650,50.
Zum 1. Oktober 2017 zog der 1997 geborene Kläger zu 2. mit in die Wohnung der Klägerin zu 1. Mit einem beim Beklagten am 6. November 2017 eingegangenen ausgefüllten Formularvordruck vom „23. Okt. 2017“ erklärte die Klägerin zu 1., dass der Kläger zu 2. über kein Einkommen verfüge.
Bereits mit bestandskräftig gewordenen Änderungsbescheiden vom 17. und 20. Oktober 2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. u...