Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsförderung. Erstattungsforderung der Bundesagentur für Arbeit gegen Leistungsbezieher. Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids. Inanspruchnahme eines Miterben. Regelungsbefugnis der BA. Erbengemeinschaft. Ermessensausübung hinsichtlich der Auswahl eines Gesamtschuldners. keine notwendige Beiladung der weiteren Miterben. keine Kostenbefreiung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nimmt die BA die Witwe eines Sozialleistungsempfängers wegen einer gegenüber diesem zu dessen Lebzeiten begründeten Erstattungsforderung in Anspruch, sind die Kinder des Sozialleistungsempfängers nicht notwendig beizuladen (Anschluss an BSG vom 23.8.2013 - B 8 SO 7/12 R = SozR 4-5910 § 92c Nr 2, RdNr 10).

2. Angesichts der vorhandenen gesetzlichen Regelungen zur Vollstreckung bestehen erhebliche Zweifel, dass die BA gegenüber Hinterbliebenen deren Erbenstellung und die Vollstreckbarkeit einer Nachlassverbindlichkeit im Wege eines "Haftungsbescheides" feststellen kann. Die Regelungskompetenz ergibt sich insbesondere nicht aus § 57 Abs 2 S 1 SGB I, weil eine Erstattungsforderung jedenfalls ohne gleichzeitig bestehende Sozialleistungsansprüche nicht im Wege der Sonderrechtsnachfolge auf die Erben übergeht.

3. Hat die Behörde die Wahl zwischen mehreren Gesamtschuldnern für Nachlassverbindlichkeiten (§ 421 BGB), ist sie iS von § 39 Abs 1 S 1 SGB I ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln. Bei ihrer Entscheidung muss sie insbesondere eine ggf bereits erfolgte Verteilung des Nachlasses und eventuellen Verbrauch, die Anzahl der Erben, den Wert des Nachlasses, die Höhe des Erstattungsanspruchs sowie die Relation zwischen Nachlasswert und Erstattungsforderung von Amts wegen ermitteln und berücksichtigen.

 

Orientierungssatz

Der Miterbe, der durch den streitgegenständlichen Haftungsbescheid ausschließlich als Miterbe zur Zahlung herangezogen wird, gehört nicht zu dem nach § 183 SGG kostenbefreiten Personenkreis.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.07.2018; Aktenzeichen B 11 AL 6/18 B)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 17. März 2016 wird unter Aufhebung der Kostenentscheidung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens für beide Rechtszüge zu tragen.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge mit 4.805,- Euro festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines sogenannten Haftungsbescheides, mit dem die Beklagte als Trägerin von Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bei der Klägerin eine gegenüber deren verstorbenen Ehemann begründete Erstattungsforderung realisieren will.

Der 1975 geborene Akin Y. (A. Y.) war bis Juli 2004 in erster Ehe mit der 1973 geborenen Hatice Y. (Ha. Y.) verheiratet; aus dieser Ehe gingen zwei 1993 und 1997 geborene Kinder hervor. Nachfolgend heiratete A. Y. die 1979 geborene Klägerin; aus dieser Ehe stammen zwei weitere, 2006 und 2009 geborene Kinder.

Im November 2008 nahm A. Y. eine selbständige Erwerbstätigkeit als Gastwirt in Georgsmarienhütte auf. Mit Bescheid vom 17. November 2008 bewilligte die Beklagte ihm für den Zeitraum von November 2008 bis Juli 2009 einen monatlichen Gründungszuschuss in Höhe von 1.684,50 Euro. Am 14. April 2009 teilte A. Y. bei seiner persönlichen Arbeitslosmeldung sinngemäß mit, dass er sein Gewerbe zum 1. Mai 2009 abmelde. Diese Meldung blieb in der Folgezeit bei der Beklagten zunächst unbeachtet, so dass der Gründungszuschuss für die Monate Mai bis Juli 2009 weiter an A. Y. ausgezahlt wurde. Nach Anhörung (Schreiben vom 29. Juli 2009), auf die sich A. Y. nicht äußerte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 3. Dezember 2009 “die Bewilligung von Gründungszuschuss„ ab 1. Mai 2009 gestützt auf “§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X„ auf und forderte ihn zur Erstattung eines Betrages von 5.053,50 Euro auf. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch (Schreiben vom 28. Dezember 2009 und 2. März 2010) erließ die Beklagte einen “Änderungsbescheid„ vom 4. März 2010, in dem sie wiederum die Aufhebung der Bewilligung des Gründungszuschusses und die Erstattung eines Betrages von 5.053,50 Euro verfügte und dies nunmehr auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X stützte. Mit Schreiben vom 28. April 2010 nahm A. Y. den Widerspruch zurück und bat darum, die Leistungen ab 1. Juni 2010 in monatlichen Raten leisten zu dürfen. In der Folgezeit erfolgten Aufrechnungen der Beklagten in der Gesamthöhe von 248,50 Euro.

A. Y. verstarb am 10. Februar 2012. Er hinterließ kein Testament. Das Erbe wurde weder von der Klägerin noch von seinen Kindern ausgeschlagen.

Mit dem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 4. September 2012 teilte die Beklagte mit, dass sie gegen A. Y. eine Forderung in Höhe von 4.805,- Euro habe. Nach ihren Feststellungen sei die Klägerin und die zwei gemeinsamen Kinder des A. Y. und der Klägerin Erben geworden. Deshalb hafteten sie nach § 1967 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für die Nachlassverbindlichkeiten gesamtschuldnerisch. Die Klägerin erhalte Gelegenheit, sich ...

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