Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten. Befugnis des Jobcenters zum Erlass eines Feststellungsbescheides über die Ersatzpflicht dem Grunde nach. sozialwidriges Verhalten bei vorzeitigem Verbrauch einer Erbschaft. Vorliegen eines Härtefalls
Leitsatz (amtlich)
1. Das Jobcenter ist auf der Grundlage von § 34 SGB II nicht befugt, einen Feststellungsbescheid über die Ersatzpflicht dem Grunde nach zu erteilen.
2. Die Verschwendung einer Erbschaft ist als sozialwidrig iS des § 34 SGB II anzusehen.
3. Bei der Prüfung, welches Ausgabeverhalten eines Nichterwerbstätigen, welcher aufgrund einer größeren Erbschaft aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschieden ist, als sozialwidrig zu werten ist, kann nicht auf den (fiktiven) Bedarf nach dem SGB II abgestellt werden. Es ist vielmehr sachgerecht, auf das durchschnittliche Ausgabeverhalten vergleichbarer Personen abzustellen, für die statistische Erhebungen (vgl EVS 2013) vorliegen.
4. Allein der zum Zeitpunkt der Heranziehung zum Kostenersatz bestehende Leistungsbezug nach dem SGB II begründet keinen Härtefall, welcher das Jobcenter verpflichtet, von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs abzusehen.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Aurich vom 14. Dezember 2016 zu den Aktenzeichen S 15 AS 385/15, S 15 AS 474/15, S 15 AS 313/16 und S 15 AS 358/16 aufgehoben. Die Klagen werden abgewiesen.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 14. Dezember 2016 zu dem Aktenzeichen S 15 AS 615/14 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Widerspruchs- und Klageverfahrens zu dem Aktenzeichen S 15 AS 615/14 sowie 1/5 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens, im Übrigen keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird hinsichtlich des Bescheides des Beklagten vom 27. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2014 zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Verpflichtung des Klägers zum Ersatz erbrachter Geldleistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Der 1967 geborene, ledige und alleinstehende Kläger stand bei dem Beklagten seit dem 1. Januar 2005 durchgehend im Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er bewohnte eine 56 qm große Drei-Zimmer-Wohnung in J., für die eine Bruttowarmmiete von 435 € zu zahlen war. Die zuletzt in Höhe von monatlich 717,79 € (359 € Regelbedarf und 358,79 € abgesenkte Kosten für Unterkunft und Heizung) bewilligten Leistungen stellte der Beklagte ab April 2011 im Hinblick auf eine mitgeteilte Erbschaft ein. Zuvor hatte der Kläger am 3. Januar 2011 eine Vollzeittätigkeit als Montagewerker aufgenommen, welche zum 7. Februar 2011 durch eine arbeitgeberseitige Kündigung beendet worden war, nachdem der Kläger nicht zur Arbeit erschienen war. Als Grund hierfür nannte er bei einer persönlichen Vorsprache bei dem Beklagten am 22. Februar 2011, dass er wegen einer dringenden Familienangelegenheit nach K. habe reisen müssen. Am 2. Februar 2011 war der dort lebende Onkel verstorben, dessen Alleinerbe der Kläger war. Zur Erbmasse gehörten ein unbelastetes Hausgrundstück in K.. Ferner waren vorhanden ein Sparkonto bei der L. AG (15.678 €), Konten bei der M. Bank AG (17.528 € und 6.489 €), sowie ein Wertpapierdepot bei dieser Bank (39.320 €).
Der Kläger lebte nach dem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug von seinem Erbe. Einer Erwerbstätigkeit ging er nicht nach. Im Mai 2011 zahlte er im Rahmen eines Schuldenbereinigungsplans an seine Gläubiger Beträge in Höhe von insgesamt 5.000 €. Mit notariellem Vertrag vom 6. Juli 2011 veräußerte er das geerbte Hausgrundstück zum Preis von 120.000 €. Mit weiterem notariellen Kaufvertrag vom 8. September 2011 erwarb er die von ihm bewohnte Eigentumswohnung zum Preis von 37.000 €. Die erforderliche Verwalterzustimmung wurde nachfolgend allerdings nicht erteilt, so dass der Kaufvertrag rückabgewickelt wurde. Der vom Kläger bereits (in bar) gezahlte Kaufpreis wurde von den Vermietern mit den zwischenzeitlich angefallenen Mieten verrechnet, zur Begleichung von Verbindlichkeiten des Klägers verwendet bzw. in Teilbeträgen (Barzahlungen/Überweisungen) bis Juni 2013 an den Kläger erstattet.
Bereits im August 2012 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen ersten Neuantrag auf Leistungen nach dem SGB II und gab an, dass er sein Erbe verbraucht habe. Hierauf erteilte der Beklagte einen bestandskräftigen Versagungsbescheid, nachdem der Kläger angeforderte Unterlagen nicht vorgelegt hatte.
Im Mai 2013 stellte der Kläger, der zwischenzeitlich Zahlungen seiner Vermieter im Rahmen der Rückabwicklung des Kaufpreises erhalten hatte, erneut einen Leistungsantrag und gab an, dass er einkommens- und vermögenslos sei. Von seiner Erbschaft, welche sich auf ca. 120.000 € belaufen habe, habe er 6.000 € Schulden beglichen und den Rest für den Lebensunterhalt, Sozialversicherungsbeiträge und private Anschaffu...