Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Versorgung mit einer Lipidapheresetherapie. Apherese-Kommission gem Anl 1 Nr 1 § 6 der "Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung" (juris: MVVRL). keine rechtliche Bindung der Krankenkasse an die Apherese-Kommission. keine Widerlegung der Apherese-Kommission durch einfaches weiteres Gutachten des Medizinischen Dienstes
Leitsatz (amtlich)
Dem Votum der beratenden Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung (Apherese-Kommission) gemäß Ziffer 1 § 6 der Anlage I kommt eine rechtliche Bindung für die Krankenkasse nicht zu. Eine so weitreichende Folge der Kommissionsentscheidung lässt sich dem Wortlaut von § 6 "beratende Kommissionen" und der "Beratung der Indikationsstellungen" bzw der "Beratung der Einzelfall-Indikation" nicht entnehmen. Allerdings kann angesichts der Komplexität des Genehmigungsverfahrens und der besonderen Kompetenz der Apherese-Kommission, in der sowohl in der Apherese fachkundige Ärzte als auch Ärzte des Medizinischen Dienstes (MD) vertreten sind, die Einschätzung der Kommission regelmäßig nicht durch ein einfaches weiteres Gutachten des MD widerlegt werden. Zur Entkräftung eines solch fachkundigen Votums bedarf es gewichtiger Gründe, die im zu entscheidenden Fall nicht vorlagen.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 18. September 2018 wird abgeändert. Der Tenor wird wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet war, die Klägerin im Zeitraum Dezember 2018 bis 9. August 2019 mit einer Lipoproteinapheresetherapie zu versorgen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Versorgung der Klägerin mit einer Lipidapheresetherapie.
Die am J. 1944 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einer koronaren 3-Gefäß-Herzkrankheit. Im Jahre 2004 zeigten sich bei einer Herzkatheter-Untersuchung erstmalig Veränderungen der Koronararterien mit 30%igen bis 60%-igen Stenosen. Im Januar 2008 wurden zum ersten Mal Dilatationen und Stentimplantationen erforderlich. Im Februar 2015 wurde ein Bronchialkarzinom operativ entfernt. Anfang 2018 stellte sich die Klägerin bei zunehmender Angina-pectoris-Symptomatik erneut kardiologisch vor, wo ein deutlicher Progress der Koronaren Herzkrankheit (KHK) diagnostiziert wurde. Im Februar 2018 erfolgte daraufhin die erneute Rekanalisation einer subtotalen Stenose im Bereich der linken Koronararterie und im Mai 2018 aufgrund einer 75%igen Stenose die Dilatation und Stentimplantation der rechten Koronararterie.
Am 14. Juni 2018 beantragte ihr behandelnder Arzt, der Internist, Nephrologe, Lipidologe und Hypertensiologe Dr K., für sie bei der Apheresekommission der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) eine Lipidapheresebehandlung aufgrund medikamentös nicht zu beeinflussender Hyperlipoproteinämie und progredienter koronarer Herzkrankheit. Hierbei handelt es sich um ein Blutreinigungsverfahren, bei dem aus dem Blut bestimmte Blutfette entfernt werden. Mit Schreiben vom 5. Juli 2018 teilte die KVN der Beklagten mit, dass ihr die vollständigen Antragsunterlagen vorlägen und dass diese an die Sachverständigen der Apheresekommission übersendet worden seien und gab Gelegenheit zur Stellungnahme, die die Beklagte nicht wahrnahm. Mit Schreiben vom 10. August 2018 teilte die KVN der Beklagten mit, dass die Apheresekommission für die Klägerin die Indikation für eine Apherese gestellt habe und die Behandlung und Durchführung befürworte. Sie bat darum, die Klägerin über das Ergebnis zu informieren und einen entsprechenden Leistungsbescheid zu erstellen.
Am 14. August 2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Prüfung eingeschaltet habe. Der MDK kam mit Gutachten vom 29. August 2018 zu dem Ergebnis, dass er eine Lipidapherese im Falle der Klägerin nicht befürworte. Zum Zeitpunkt des Progresses sei das LDL nicht leitliniengerecht eingestellt gewesen, das LDL-Ziel habe bei 70 mg/dl gelegen. Nicht medikamentöse Maßnahmen zur LDL-Korrektur (Ernährungsmedizin) seien den Unterlagen nicht zu entnehmen. Die medikamentösen Optionen seien nicht ausgeschöpft. Nach Präventionsleitlinie der DG Kardiol sei außerdem eine Teilnahme am Koronarsport oder Äquivalent angezeigt. Eine solche bewegungstherapeutische Maßnahme sei nicht zu erkennen. Es liege daher weder ein ultima-ratio-Fall noch ein therapierefraktärer Verlauf vor. Hinzu komme, dass der Progress nach zehn Jahren Ruhe im 74. Lebensjahr aufgetreten sei. Das spreche gegen die Relevanz des kardiovaskulären Risikofaktors LP(a) in diesem Einzelfall. Außerdem beeinträchtigten die zur Apherese regelmäßig erforderlichen Shuntanlagen die Herzfunktion. Da die Klägerin herzkrank sei, sei dies kontraproduktiv. Mit Bescheid vom 5. September 2018 lehnte die Beklagte den Antrag daraufhin ab.
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