Entscheidungsstichwort (Thema)
Herstellungsanspruch. Beratung. Beratungsfehler. Kostenerstattung. Nichtvertragskrankenhaus. Krankenhausbehandlung. Operation
Leitsatz (amtlich)
- Beantragt eine Versicherte eine Leistung außerhalb des vertragsärztlichen Systems, so hat die Krankenkasse die Pflicht, die Versicherte konkret und einzelfallgerecht über mögliche Leistungen innerhalb des vertragsärztlichen Systems zu beraten (so bereits LSG Niedersachsen, Urteil vom 28.8.1996 – L 4 Kr 143/95).
- Beantragt die Versicherte die Durchführung einer Operation in einem Nichtvertragskrankenhaus, so umfasst die korrekte Beratung die Benennung entsprechender Vertragskrankenhäuser.
- Verletzt eine Krankenkasse ihre Beratungspflicht, so ist sie zur Erstattung der Behandlungskosten verpflichtet, die sie bei korrektem Verwaltungshandeln aufzuwenden gehabt hatte. Voraussetzung ist, dass der Versicherten durch die Inanspruchnahme von Behandlung entsprechende Kosten entstanden sind.
Normenkette
SGB I § 14; SGB V § 27 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Hildesheim (Urteil vom 27.08.2001; Aktenzeichen S 2 KR 55/00) |
Tenor
- Das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 27. August 2001 sowie der Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2000 werden aufgehoben.
- Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten der Behandlung durch Dres C.… und D.… in der Alpha-Klinik in Höhe von 10.465,77 DM (5.351,06 Euro) zu erstatten.
- Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Übernahme der Kosten für eine endoskopische Bandscheiben-Operation.
Die im Februar 1942 geborene Klägerin litt bereits seit Jahren an Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule mit Schwerpunkt im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS). Im Juni 1999 führte der Radiologe Dr. E.… bei der Klägerin im Bereich der LWS eine Computertomographie (CT) durch und fand Bandscheibenprotrusionen in Höhe L 4/5 und L 5/S1. Ein Bandscheibenprolaps oder Sequester fand sich nicht. Der Orthopäde F.… empfahl in seinen an den Hausarzt der Klägerin gerichteten Berichten vom 14. Juni und 13. Juli 1999 jeweils konservative ambulante Behandlung.
In der Zeit vom 27. Juli bis 11. August 1999 wurde die Klägerin in der Abteilung für Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie des Bathildis Krankenhauses in Bad Pyrmont stationär behandelt. Die Behandlung bestand in Krankengymnastik, Physiotherapie und Infiltrationsbehandlung mit Xylocain. Danach fand eine Anschlussheilbehandlung in der Rheumaklinik in Bad Pyrmont in der Zeit vom 16. August bis 13. September 1999 statt. Bei der Entlassung hatte sich die Schmerzsymptomatik gebessert. Problematisch blieben weiterhin belastungsinduzierte Schmerzen im LWS-Bereich ziehend in die Glutealmuskulatur links, insbesondere nach längerem Gehen und Stehen. Im Oktober 1999 führte der Radiologe Dr. E.… eine Magnetresonanztomographie (MRT) im Bereich der LWS der Klägerin durch und fand im wesentlichen ähnliche Befunde wie im Zuge der im Juni 1999 durchgeführten CT-Untersuchung. Er empfahl nunmehr eine CT-gesteuerte periradikuläre Therapie in Höhe L 4/5 links.
Da ihre Beschwerden unverändert andauerten, wandte sich die Klägerin Ende Oktober 1999 an die Beklagte. Sie sprach dort mit dem Mitarbeiter der Beklagten, dem Zeugen G.…. Sie teilte ihm mit, dass sie sich zur Durchführung einer endoskopischen Bandscheiben-Operation an die Alpha-Klinik in München wenden wolle. Nach dem Vortrag der Klägerin benannte ihr der Zeuge H.… keine alternative Behandlungsmöglichkeit.
Ende Oktober/Anfang November 1999 nahm die Klägerin telefonisch Kontakt zur Alpha-Klinik in München auf. Ausweislich des Berichts der Alpha-Klinik vom 25. November 1999 stellte sie sich dort am 15. November 1999 zur Untersuchung vor. Am 23. November 1999 wurde eine endoskopische Bandscheiben-Operation L 4/5 und L 5/S1 mit Chemonukleolyse und Sequestrektomie durchgeführt. Seitdem ist die Klägerin nach ihren Angaben beschwerdefrei.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten “nochmals”, ihr die Behandlungskosten der Alpha-Klinik in Höhe von insgesamt 10.465,77 DM zu erstatten. Zwar habe ihr der Zeuge H.… bereits Mitte November 1999 mitgeteilt, dass eine Übernahme der Kosten nicht in Betracht komme, weil die Alpha-Klinik und die dort tätigen Ärzte nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen seien. Sie habe die Operation dennoch in München durchführen lassen, weil sie angesichts der Untätigkeit der Ärzte vor Ort und der zunehmenden körperlichen und psychischen Belastung keinen anderen Ausweg mehr gesehen habe. Ihr sei bekannt, dass andere gesetzliche Krankenkassen die Behandlung ihrer Mitglieder in der Alpha-Klinik bezahlt hätten.
Die Beklage lehnte den Antrag mit Bescheid vom 8. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2000 mit der Begründung ab, es handele sich bei der Alpha-Klinik nicht um ein Vertragskrankenhaus, und die behandelnden Ärzte...