Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Arbeitsbescheinigung. keine Voraussetzung für Arbeitslosengeldanspruch und vollständigen Leistungsantrag nach § 44 Abs 2 SGB 1. unvollständiger Antrag. Informationsdefizit im Verantwortungsbereich des Leistungsträgers. Verzinsung von Arbeitslosengeld. Unmöglichkeit der fristgerechten Anspruchserfüllung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Arbeitsbescheinigung gem § 133 AFG des Arbeitgebers gehört nicht zu den gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld und auch nicht zu einem vollständigen Leistungsantrag iS des § 44 Abs 2 SGB 1.
2. Arbeitslosengeld ist zu verzinsen, wenn die Bewilligung sich wegen fehlender Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers bzw wegen ungeklärter ausreichender Anwartschaftszeit verzögert. Die Bundesagentur für Arbeit hat das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses selbst zu beurteilen und ggf durch Amtsermittlung - unabhängig von einem arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit - festzustellen.
3. Für die Verzinsungspflicht nach § 44 SGB 1 kommt es nicht darauf an, ob dem Leistungsträger eine fristgerechte Erfüllung des Anspruchs unmöglich war.
Orientierungssatz
Ein unvollständiger Antrag gilt als vollständig, wenn das verbliebene Informationsdefizit allein in dem Verantwortungsbereich des Leistungsträgers liegt.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 15. März 2005 und der Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2003 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für das im April bzw. Juli 2003 gezahlte Arbeitslosengeld Zinsen entsprechend den gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte für Arbeitslosengeld (Alg), das mehrere Jahre nach der Antragstellung gezahlt wurde, Zinsen an den Kläger zu zahlen hat.
Der Kläger, der nach versicherungspflichtigen Beschäftigungen vom 1. Juli 1994 - 31. Mai 1995 bis zum 31. Juli 1995 Arbeitslosenhilfe (Alhi) bezogen hat, war nach eigenen Angaben ab dem 1. August 1995 bei der F. (im Folgenden: OSH-GmbH) Hamburg versicherungspflichtig beschäftigt und bei der Barmer Ersatzkasse (BEK) und der Rentenversicherung für Angestellte pflichtversichert. Nachdem ihm von der OSH-GmbH die Lohnsteuerkarten 1995 und 1996 und der Sozialversicherungsausweis blanko und ohne Begleitschreiben übersandt worden waren, beantragte er am 20. Mai 1996 bei der Beklagten Alg. Er teilte mit, er habe Kündigungsschutzklage und Klage wegen noch ausstehenden Arbeitsentgelts beim Arbeitsgericht Hamburg erhoben, und legte die Kopie eines Schriftsatzes seines Prozessbevollmächtigten an die OSH-GmbH vom 24. Mai 1996 vor, mit dem vorgerichtlich u. a. ausstehende Gehaltszahlungen auf der Basis einer monatlichen Vergütung von 4135,00 DM netto gefordert wurden.
Auf zweifache Anforderung einer Arbeitsbescheinigung teilte die OSH-GmbH der Beklagten im Juni 1996 mit, für sie stehe ›unverrückbar fest‹, dass der Kläger nicht ihr Angestellter gewesen sei, sie gehe von einem Werkvertrag aus, der jedoch nicht erfüllt worden sei. Nach einem Aktenvermerk vom 27. Juni 1996 über ein Telefongespräch mit der AOK (gemeint wohl: BEK) Hamburg West war von dort einem Mitarbeiter der Beklagten mitgeteilt worden, dass am 22. August 1995 eine Anmeldung von der OSH-GmbH rückwirkend zum 1. August 1995 vorgenommen worden sei. Am 22. März 1996 sei die Anmeldung ab dem 1. August 1995 storniert worden. Ob die abgeführten Beiträge erstattet werden könnten oder dürften, sei zurzeit völlig unklar. Nach einem in Kopie in der Akte befindlichen Schreiben der BEK Hamburg West vom 1. Juli 1996 an die Prozessbevollmächtigten des Klägers seien Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 1. August 1995 bis 31. März 1996 von der OSH-GmbH entrichtet worden. Einem inzwischen vorliegenden Antrag auf Erstattung dieser Beiträge werde nicht vor Ende des Rechtsstreits entsprochen.
Mit Verfügung vom 16./18. Juli 1996 bejahte die Beklagte die Anspruchsvoraussetzungen für Alhi und verfügte deren ›Weiterbewilligung‹, wobei sie dem Kläger einen Anspruchsübergang mitteilte für den Fall, dass aus dem Arbeitsverhältnis Leistungsansprüche gegen den Arbeitgeber resultierten. Auch nach einer Unterbrechung des Leistungsbezugs mit erneuter Arbeitslosmeldung am 12. Dezember 1996 und erneutem Antrag auf Alg bewilligte die Beklagte weiterhin Alhi. Bei dieser Entscheidung lag der Beklagten bereits das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 17. Oktober 1996 vor, mit dem das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage als unbegründet ansah, weil eine Kündigung nicht vorliege und die OSH-GmbH unter Annahme eines Arbeitsverhältnisses zur Zahlung von 16.280,00 DM netto ausstehenden Arbeitsentgelts verurteilte.
Am 11. März 1997 wurde vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg ein Vergleich geschlossen, wonach di...