Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. kein Anspruch auf Versorgung mit Eleutherococcus und Zinkorot. mangelnder Nachweis der Heilungsaussicht. sozialgerichtliches Verfahren. Anhörung eines bestimmten Arztes. keine Entscheidungserheblichkeit
Orientierungssatz
1. Ein Anspruch auf Versorgung mit Eleutherococcus (Taiga-/Ginsengwurzel) in Kapselform und Zinkorot-Tabletten ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs 1a SGB 5, wenn mit den begehrten Präparaten keine Aussicht auf Heilung der Krankheit besteht. Der Nachweis einer Heilungsaussicht ist nicht durch die einzelne Meinung eines Arztes zu belegen, sondern bedarf des ausdrücklichen Nachweises in wissenschaftlichen Erkenntnissen, die nicht auf den Einzelfall beschränkt sind.
2. Als Ausnahme von der fehlenden Bindung an Beweisanträge regelt § 109 SGG die Pflicht des Gerichts, unter den dort genannten Voraussetzungen einen „bestimmten“ Arzt gutachterlich zu hören. Die Ausnahmeregelung soll aber nicht von dem allgemein prozessrechtlichen Grundsatz entbinden, dass nur über solche Tatsachen Beweis zu erheben ist, die für die Entscheidung erheblich sind (vgl BSG vom 20.4.2010 - B 1/3 KR 22/08 R = BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 6. März 2020 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger einen Anspruch auf Versorgung mit den Nahrungsergänzungsmitteln Eleutherococcus (Taiga-/Ginsengwurzel) in Kapselform und Zinkorot-Tabletten sowie auf Kostenerstattung für bereits besorgte Präparate hat.
Der 1967 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert und leidet seit Jahren unter zahlreichen Erkrankungen; zu nennen sind u.a. ein Zustand nach Nierentransplantation, Zustand nach mittelschwerer Abstoßreaktion (Juli 2005), eine chronische Glumerolonephritis, ein infektbedingtes akutes Nierenversagen (2018), pAVK, ein Verdacht auf ein Alport-Syndrom, Hypertonus, Tinnitus, allergisches Asthma, chronisches Erschöpfungssyndrom (Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatique Syndrome ≪ME/CFS≫), Histaminüberempfindlichkeit. Seit dem 16. Januar 2018 besteht ein Pflegegrad I (vgl. Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 17. November 2018).
Am 8. Januar 2019 beantragte er bei der beklagten Krankenkasse (KK) unter Vorlage einer Verordnung des Facharztes für Innere Medizin Prof. Dr. H. die Übernahme der Kosten für das Nahrungsergänzungsmittel Eleutherococcus. Zeitgleich reichte er Kopien von Quittungen über bereits beschaffte Arzneimittel zur Kostenerstattung bei der Beklagten ein.
Mit Bescheid vom 28. Januar 2019 lehnte die Beklagte die Übernahme bzw. Erstattung der Kosten für Zinkorot Tabletten und Eleutherococcus Kapseln ab. Nicht verschreibungspflichtige, aber apothekenpflichtige Arzneimittel dürften nur in folgenden Ausnahmefällen von den KKen bezahlt werden: für Kinder, die noch nicht zwölf Jahre seien, für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen, die jünger als 18 Jahre seien und bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen, wenn das Arzneimittel regulär zur Therapie dieser Erkrankung vorgesehen sei. Treffe eine dieser Voraussetzungen zu, könnte das Medikament auf einem Kassenrezept verschrieben werden. Die Apotheken rechnen dann die Kosten direkt mit der KK ab. Für Arzneimittel, die nicht apothekenpflichtig seien und außerhalb einer Apotheke gekauft werden könnten, dürften generell keine Kosten übernommen werden.
Dagegen richtete sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 4. Februar 2019.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel seien gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. § 12 Abs. 1 bis 5 Arzneimittel-Richtlinie wiederhole den zuvor genannten gesetzlich vorgegebenen Leistungsausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneien, definiere den Begriff einer schwerwiegenden Erkrankung und wann ein Arzneimittel als Therapiestandard gelte. Die schwerwiegende Erkrankung und die dafür nicht verschreibungspflichtigen Standardtherapeutika, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (gKV) ausnahmsweise verordnet werden dürften, seien in der Anlage 1 der Richtlinie abschließend gelistet. Für die in der Anlage 1 aufgeführten Indikationsgebiete könne der behandelnde Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt sei. Nach § 16 Abs. 1 bis 3 der Arzneimittel-Richtlinie i.V.m. § 92 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 3 und 4 SGB V dürften Arzneimittel von Versicherten nicht beansprucht, von den behandelnden Ärzte...