Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Angemessenheit der Unterkunftskosten. Berücksichtigung von Tilgungsraten für ein selbst genutztes Hausgrundstück. Begrenzung durch angemessene Vergleichsmiete für Mieter. Produkttheorie. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Die monatlichen Tilgungsraten zur Zahlung eines zinslos gestundeten Kaufpreises für ein - während des Bezugs von steuerfinanzierten Sozialleistungen ohne Eigenkapital erworbenes - selbst genutztes Hausgrundstück sind in voller Höhe als Unterkunftskosten gem § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 zu berücksichtigen, soweit die abstrakt angemessene Vergleichsmiete einer Mietwohnung durch die geltend gemachten Kosten nicht überschritten wird und ohne Kostenübernahme der Verlust der Wohnung bzw des selbst genutzten Wohneigentums droht.
2. Wurde ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten iS des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 vom Grundsicherungsträger nicht vorgelegt und überschreiten die geltend gemachten tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die - insofern unter Heranziehung der Wohngeldtabelle zu § 8 WoGG 2 ermittelte - angemessene Vergleichsmiete nicht, steht der Kostenübernahme auch eine Überschreitung der Wohnflächengrenze nicht entgegen, da dies iS der Produkttheorie durch eine geringe Höhe der Heizungs- und sonstigen Nebenkosten ausgeglichen wird.
Nachgehend
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 18. Mai 2006 wird aufgehoben. Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, den Klägern bis zum 30. Juni 2005 über die erbrachten Leistungen in Höhe von 129.- Euro hinaus monatlich 350,00 Euro an Kosten der Unterkunft zu zahlen.
Der Beklagte zu 2) trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger aus beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob den Klägern vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 über die bereits gezahlten Heizkosten in Höhe von monatlich 63,75 Euro sowie sonstige Nebenkosten in Höhe von 65,03 Euro hinaus 350,00 Euro an Kosten der Unterkunft (KdU) zustehen.
Die ... 1970 geborene Klägerin zu 1) und der ... 1967 geborene Kläger zu 2) lebten im streitbetroffenen Zeitraum mit ihren Kindern, der ... 1995 geborenen Klägerin zu 3) und dem ... 1996 geborenen Kläger zu 4) in einer Bedarfsgemeinschaft zusammen. Der Kläger zu 2) ist inzwischen umgezogen und erhält seit 1. November 2008 Leistungen der Arbeitsgemeinschaft L.
Die Klägerin zu 1), eine ausgebildete Gärtnerin, steht seit 12. September 1990 mit Unterbrechungen im Leistungsbezug der Bundesagentur für Arbeit. Zuletzt bezog sie vom 27. Juni 2001 bis zum 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Der Kläger zu 2), ein ausgebildeter Tischler, bezog zuletzt Alhi in der Zeit vom 27. Juli 2002 bis zum 31. Dezember 2004.
Mit Vertrag vom 19. August 2003 (Urkundenrolle Nr 329/2003 des Notars P) erwarb die Klägerin zu 1) das eine auf vier Zimmer verteilte Wohnfläche von 100 qm umfassende, 1945 bezugsfertig gewordene Einfamilienwohnhaus (Angaben der Klägerin bei der Antragstellung) in D, das die Klägerin zu 1) mit den Kindern bis heute bewohnt. Der vereinbarte Kaufpreis betrug 60.000,00 Euro. Das Grundstück war in Abteilung III des Grundbuches lastenfrei. In § 4 des Vertrages heißt es:
"Der in § 1 aufgeführte Kaufpreis wird dem Käufer zinslos gestundet und ist in monatlichen Teilbeträgen in Höhe von 350,00 Euro, beginnend ab 01.09.2003 zu tilgen ... Die Kaufgeldforderung des Verkäufers soll durch Eintragung einer Kaufgeldhypothek in das Grundbuch abgesichert werden. Sondertilgungen sind jederzeit zulässig ... Sollte der Käufer mit mehr als zwei Monatsraten in Verzug geraten, ist der noch gegebene Kaufgeldbetrag sofort in einer Summe fällig. Der Käufer unterwirft sich wegen der Kaufgeldforderung der sofortigen Zwangsvollstreckung in den belasteten Grundbesitz ...."
Die Übergabe des Kaufobjekts erfolgte zum 1. September 2003.
Im Jahre 2004 fiel ein Grundsteuerbetrag in Höhe von 162,49 Euro an, die Abwasserabgabe wurde auf 71,52 Euro festgesetzt (Grundabgabenbescheid der Samtgemeinde D vom 26. Juli 2004); die Hausbesitzerversicherung kostete 154,49 Euro jährlich (Versicherungsschein vom 29. März 2004); die Abfallgebühren betrugen für das Jahr 2005 216,00 Euro (Abfallgebührenbescheid vom 28. Januar 2005), die Schornsteinfegergebühren 65,74 Euro (Rechnung vom 6. Dezember 2004), für Wasser waren 110,01 Euro für die Zeit von September 2003 bis September 2004 zu zahlen (Abrechnung vom 19. November 2004). Die Heizung des Hauses erfolgt per Flüssiggas, die Warmwasserversorgung durch Durchlauferhitzer auf Gas-Basis. Nach den vorliegenden Unterlagen waren für das Jahr 2004 an Gaskosten 832,00 Euro (monatlich durchschnittlich 69,33 Euro) zu zahlen. Im Januar 2005 ergab sich eine Gasrechnung von zusammen 114,00 Euro, für Februar 2005 in Höhe von 152,00 Euro, für März 2005 in Höhe von 114,00 Euro.
Am 21. September 2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten...