Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer
Leitsatz (amtlich)
1. Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts iS des § 2 Abs 1 AsylbLG ist nur dann anzunehmen, wenn das Verhalten erkennbar der Verfahrensverzögerung und damit der Aufenthaltsverlängerung dient, wobei es im Hinblick auf den Zweck der Regelung, missbräuchliche Asylantragstellungen einzuschränken, auf die generelle Eignung des zu beanstandenden Verhaltens zur missbräuchlichen Beeinflussung des Aufenthalts ankommt.
2. Allein die Nutzung der Rechtsposition der Duldung kann ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht begründen, wenn die Dauer des Aufenthalts nicht auf rechtlich oder tatsächlich zu beanstandendem Verhalten des Ausländers beruht.
3. Aus Wortlaut und Zweck der Regelung des § 2 Abs 1 AsylbLG ist zu schließen, dass es für die Beurteilung der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts auf die gesamte Dauer des Aufenthalts des Ausländers im Bundesgebiet ankommt und nicht etwa nur auf die Dauer des Aufenthalts nach der rechtskräftigen Ablehnung des Asylantrags.
Orientierungssatz
Ob ein Verhalten eines Ausländers als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts zu werten ist, ist unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung zu entscheiden. Weil die Regelung nach dem offenkundigen Willen des Gesetzgebers die Regelung des Art 16 EGRL 9/2003 umsetzen soll, ist diese zur Auslegung des § 2 Abs 1 AsylbLG heranzuziehen. Dies gilt auch dann, wenn das Asylverfahren bereits abgeschlossen ist. Weitere Auslegungskriterien für die Entscheidung der Frage rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sind unter rechtssystematischen Gesichtspunkten zudem der Regelung des § 1a AsylbLG zu entnehmen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger auch für den zweiten Rechtszug zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger beanspruchen Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Verbindung mit dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der im Jahr 1974 in Urosenac (heute: Serbien und Montenegro) geborene Kläger zu 1) ist der Vater des im Jahr 1996 in Prestina (Serbien und Montenegro) geborenen Klägers zu 2). Beide Kläger gehören der Volksgruppe der Ashkali aus dem Kosovo an.
Die Kläger reisten zusammen mit der Ehefrau des Klägers zu 1) und Mutter des Klägers zu 2) im August 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr Aufenthalt wird seitdem von der zuständigen Ausländerbehörde geduldet. Die Ehe des Klägers zu 1) mit seiner Ehefrau ist inzwischen geschieden (Urteil des Gemeindegerichts in Urosenac vom 15. Juni 2000).
Die Kläger beziehen mit Wirkung ab 7. August 1998 Leistungen nach dem AsylbLG. Nach Ablauf des vorangegangenen Bewilligungszeitraums bewilligte die Samtgemeinde G. durch Bescheid vom 21. Dezember 2004 den Klägern mit Wirkung ab 1. Januar 2005 Grundleistungen nach § 1 AsylbLG in Verbindung mit § 3 AsylbLG einschließlich der Kosten der Unterkunft, der Heizkosten und Nebenkosten in Höhe von insgesamt 708,22 €. Hiergegen legten die Kläger unter dem 5. Januar 2005 Widerspruch ein und beantragten Leistungen nach § 2 AsylbLG. Den Widerspruch wies der Landkreis H. durch Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2005 als unbegründet zurück. Die Kläger gehörten zur Minderheitengruppe der Ashkali aus dem Kosovo. Eine Rückführung in Zusammenarbeit mit der UNMIK sei zurzeit für diese Minderheitengruppe ausgesetzt. Es bestände indes die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise, die sowohl in das Kosovo als nach Serbien und Montenegro erfolgen könne. Hiergegen haben die Kläger am 17. Januar 2005 Klage erhoben. Ebenso wie die Angehörigen anderer Minderheitengruppe aus dem Kosovo müssten die Ashkali weiter geduldet werden. Das Unterlassen einer freiwilligen Ausreise sei nicht als “Rechtsmissbrauch" im Sinn der Regelung des § 2 AsylbLG zu bewerten. Dies folge in erster Linie aus der Gesetzesbegründung zu der Neuregelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG sowie aus Art. 16 der Richtlinie 2003/9/EG vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten. Eine Rückkehr in das Kosovo oder auch in andere Landesteile von Serbien und Montenegro sei für sie unzumutbar.
Durch Urteil vom 7. Juli 2005 hat das Sozialgericht (SG) Hildesheim die Beklagte verurteilt, an die Kläger mit Wirkung ab 1. Januar 2005 unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen nach §§ 1, 3 AsylbLG sowie § 2 AsylbLG Leistungen nach § 2 AsylbLG in Verbindung mit dem SGB XII zu erbringen. Der Verbleib der Kläger im Bundesgebiet sei nicht rechtsmissbräuchlich im Sinn von § 2 AsylbLG. Ein Rechtsmissbrauch in diesem Sinne liege nur dann vor, wenn der Ausländer seine Rückführung verhindere beziehungsweise zu verhindern versuche, indem er entweder aktiv bestimmte ...