Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenversicherung. Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag. Versäumung der Antragsfrist des § 28a Abs 2 S 2 SGB 3 aF. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. kein Verschulden bei Beachtung der Sorgfalt. Materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Beratungspflicht. Merkblatt
Orientierungssatz
1. Bei Versäumung einer Frist des materiellen Sozialrechts ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Anwendung von § 27 SGB 10 nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Sie ist nur unzulässig, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, dass sie ausgeschlossen ist (§ 27 Abs 5 SGB 10). Ist eine Wiedereinsetzungsmöglichkeit nach dem Wortlaut der Norm nicht ausdrücklich ausgeschlossen, kann sie sich möglicherweise durch Auslegung aus dem jeweiligen Zweck der Fristbestimmung und der ihr zugrundeliegenden Interessenabwägung ergeben.
2. Eine Rechtsvorschrift, aus der sich der Ausschluss der Wiedereinsetzungsmöglichkeit bei Versäumung der Frist des § 28a Abs 2 S 2 SGB 3 aF ausdrücklich iS von § 27 Abs 5 SGB 10 ergeben würde, ist nicht ersichtlich.
3. Ein solcher Ausschluss ergibt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck des Fristerfordernisses.
4. Ein Verschulden iS von § 27 Abs 1 SGB 10 liegt nicht vor, wenn der Beteiligte die Sorgfalt beachtet hat, die einem im Verwaltungsverfahren gewissenhaft Handelnden nach den gesamten Umständen des jeweiligen Falles zuzumuten ist; es dürfen keine überspitzten Anforderungen gestellt werden.
Normenkette
SGB III a.F. § 28a Abs. 2 S. 2, § 434j Abs. 2 S. 1; SGB X § 27 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 5; SGB V § 9 Abs. 2; SGB I § 14
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 29. Mai 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Berufungsinstanz zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Aufnahme der Klägerin in die freiwillige Weiterversicherung nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III).
Die 1948 geborene Klägerin bezog seit 15. Februar 2006 Arbeitslosengeld (Alg) von der Beklagten. Zum 12. Februar 2007 machte sie sich selbständig als Beraterin für Vermietung und Verpachtung mit einer Tätigkeit, die mehr als 15 Wochenstunden umfasste. In diesem Zusammenhang wandte sie sich bereits am 7. Februar 2007 an die Beklagte, wies auf die beabsichtigte Selbständigkeit hin und ließ sich wegen eines Gründungszuschusses beraten.
Am 17. April 2007 beantragte sie die freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Mai 2007 ab, weil der Antrag nicht innerhalb der Ausschlussfrist von einem Monat nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit eingegangen sei. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt auf die Antragsfrist hingewiesen worden, obwohl dazu im Rahmen des Gesprächs über die Gewährung des Gründungszuschusses Veranlassung bestanden habe. Daher beantrage sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2007 wies die Beklagte den Widerspruch aus den Gründen des Ausgangsbescheides zurück. Bei der Antragsfrist handele es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, für die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht komme.
Am 18. Oktober 2007 ist Klage erhoben worden.
Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die angefochtenen Bescheide im hier angefochtenen Urteil vom 29. Mai 2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin in die freiwillige Arbeitslosenversicherung aufzunehmen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, bei der Antragsfrist für die Begründung der freiwilligen Weiterversicherung handele es sich nicht um eine materielle Ausschlussfrist. Daher sei der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Wiedereinsetzung stehe auch das der Klägerin ausgehändigte Merkblatt "Gründungszuschuss" nicht entgegen. Dieses verweise seinerseits lediglich auf ein Hinweisblatt zur freiwilligen Weiterversicherung und erteile keinen Hinweis auf die zu beachtende Antragsfrist. Die Klägerin habe die ihr darin gegebenen Hinweise nicht zum Anlass nehmen müssen, sich auch das Hinweisblatt zur freiwilligen Weiterversicherung unverzüglich zu besorgen und ihr Handeln danach auszurichten.
Gegen das am 17. Juni 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 9. Juli 2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie erneut ausgeführt, nach ihrer Auffassung handele es sich bei der Antragsfrist um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, was einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehe. Daher sei es unerheblich, ob die Klägerin unzureichend informiert worden sei oder der Beklagten ein Beratungsfehler vorzuwerfen sei. Zudem habe sich die Klägerin rechtzeitig über die freiwillige Weiterversicherung informieren können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenb...