Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme von Immunglobulinpräparaten bei monoklonaler Gammopathie unbestimmter Signifikanz
Orientierungssatz
Zum Anspruch eines Versicherten, der unter einem Antikörpermangelsyndrom bei Monoklonaler Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS) leidet, auf die Versorgung mit den Immunglobulinpräparaten "Octagam", "Intratect", seit 2012 mit "Privigen" sowie auf zukünftige etwaige andere intravenös zu verabreichende Arzneimittel mit dem Wirkstoff Immunglobulin.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 23. September 2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 6. August 2009 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger mit einem intravenös zu verabreichenden, den Wirkstoff Immunglobulin enthaltenen Arzneimittel entsprechend ärztlicher Verordnung zu versorgen.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit dem Wirkstoff Immunglobulin im Rahmen einer Immunglobulinsubstitution .
Der 1937 geborene Kläger ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) gesetzlich krankenversichert. Seit 1996 leidet er unter einem Antikörpermangelsyndrom bei monoklonaler Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS). In diesem Zusammenhang kam es zu zahlreichen rezidivierenden Pneumonien, die durch die regelmäßige Substitution mit Immunglobulinen unter Kontrolle gehalten werden sollten. Die Infusionen erfolgten zum Zwecke der Infektprophylaxe (vgl. Berichte der J. (K. ) vom 1. März 2006 und vom 17. Juli 2008). In einem Bericht des Direktors des Zentrums Innere Medizin und Dermatologie der K. Prof. Dr. L. vom 15. Juni 1998, der den Kläger bis heute behandelt, heißt es anlässlich einer stationären Behandlung, dass eine besondere Disposition für Pneumonien bestehe und dringend die regelmäßige Substitution mit intravenösen Immunglobulinen empfohlen werde, die bereits mit 2 x 10 g während der stationären Behandlung vorgenommen worden sei (vgl. aber auch Berichte vom 17. Februar 1999, vom 9. August 2000, vom 25. Oktober 2000, vom 22. November 2000, vom 24. Januar 2002, vom 21. Februar 2002, vom 23. April 2002). Die beklagte KK übernahm seit 1998 die Kosten für die kontinuierliche Immunglobulintherapie . Im Jahre 2008 beauftragte sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe, Fachreferat Arzneimittel, Neue und unkonventionelle Heilmethoden (MDK) mit der sozialmedizinischen Begutachtung einer weiterführenden - lebenslangen - Kostenübernahme einer Immunglobulintherapie . Dieser kam in seinem Gutachten vom 7. Januar 2009 zu dem Ergebnis, dass vorliegend ein zulassungsüberschreitender Einsatz des Immunglobulinpräparates “Octagam„ stattfinde. Aus den vorgelegten Unterlagen könnte nicht entnommen werden, welchen Verlauf die Paraproteinämie seit 1996 genommen habe. Angaben zum initialen Immunglobulinmangel würden nicht mitgeteilt. Zudem seien sehr häufige, schwere antibiotische nicht oder nur schwer beherrschbare Infektionen aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Eine akut lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung könnte unter Berücksichtigung der vorliegenden Angaben nicht angenommen werden.
Mit Schreiben vom 9. Februar 2009 informierte die beklagte KK den behandelnden Arzt Prof. Dr. L. darüber, dass keine Indikation für die Verordnung von intravenösen Immunglobulinen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vorliege.
Unter dem 18. Februar 2009 beantragte der Kläger bei der beklagten KK, weiterhin die Kosten für die verordneten Immunglobulinpräparate zu übernehmen. Einem Bericht des behandelnden Arztes vom 19. Februar 2009 lässt sich entnehmen, dass der Kläger oft 4 x im Jahr Bronchopneumonien mit hoch septischem Krankheitsbild gehabt habe, manchmal sei er 4 x wöchentlich mit solchen Rezidiven in die Notfallambulanz der K. gekommen. Aus der Sicht des Behandlers liege eine hohe und gehäufte Infektionsneigung im Rahmen der monoklonalen Gammopathie vor, die mindestens so zu interpretieren sei wie ein Plasmazytom bei sekundärem Antikörpermangelsyndrom. Die monoklonale Gammopathie mit dem sekundären Antikörpermangelsyndrom und den übrigen Risikofaktoren Thrombose, Lungen-Operation etc. habe insgesamt beim Kläger zu einer schwerwiegenden Infektneigung und lebensbedrohlicher Gefährdung geführt.
Mit Bescheid vom 19. Februar 2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Fortführung der Behandlung mit intravenösen Immunglobulinen (“Octagam„ und “Intratect„ ) ab. Bei der Erkrankung des Klägers handele es sich laut Befundbericht der K. um ein Antikörpermangelsyndrom mit MGUS und somit nicht um eine Erkrankung, für die ein intravenös zu applizierendes Immunglobulin (ivlG) zugelassen sei. Lediglich bei Vorliegen eines multiplen Myeloms oder einer chronisch lymphatischen Leukämie als Grunderkranku...