Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an das Vorliegen einer besonderen Härte bei der Verwertungspflicht des Hilfebedürftigen von Grundeigentum
Orientierungssatz
1. Nach § 12 SGB 2 sind bei der Entscheidung über die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers zu Leistungen des SGB 2 als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen.
2. Nicht verwertbar sind u. a. solche Vermögensgegenstände, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden ist.
3. Bei einer Erbengemeinschaft kann jeder Miterbe jederzeit die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft verlangen. Wird ein Auseinandersetzungsanspruch nicht ernstlich geltend gemacht, so besteht kein tatsächliches Verwertungshindernis (BSG Urteil vom 27. 1. 2009, B 14 AS 42/07 R).
4. Vermögen ist nach § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB 2 nicht zu berücksichtigen, soweit dessen Verwertung für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde.
5. Ist der Antragsteller zu Leistungen des SGB 2 Eigentümer einer Wohnung, so ist er zur Vermeidung von Hilfebedürftigkeit zu einer Beleihung durch die Bank verpflichtet. Hat er zu keinem Zeitpunkt ernsthaft eine Verwertung versucht, so ist das Vorliegen einer besonderen Härte zu verneinen.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 8. September 2015 aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.
Kosten beider Rechtszüge sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als Zuschuss statt als Darlehen für den Zeitraum Juni und Juli 2012.
Die Klägerin und ihr ehemaliger Lebensgefährte (nachfolgend: L), die vier gemeinsame Kinder haben, lebten zunächst gemeinsam in I ... Ihnen steht als Erbengemeinschaft das Eigentum an zwei Eigentumswohnungen in einem Reihenendhaus (Erd-und Dachgeschoss) in I. zu, die sie im Jahr 2009 erbten. Die Eintragung im Grundbuch erfolgte am 17. Februar 2010 (Grundbuch von I., Blatt 38721, lfd. Nummer 2.1 f.). Die Wohnungen werden ausschließlich von L für sich und den einvernehmlich geregelten hälftigen Umgang mit seinen drei jüngeren Kindern, die im erstinstanzlichen Verfahren als Kläger zu 2. bis 4 beteiligt waren, genutzt. Der älteste Sohn der Klägerin und L bewohnt die kleinere der beiden Wohnungen im Dachgeschoss.
Im streitgegenständlichen Zeitraum lebten die Klägerin und L bereits getrennt. Die drei jüngeren Kinder lebten bei der Klägerin, hatten aber regelmäßig Umgang mit L. Über den Umgang hatten sich die Klägerin und L dergestalt geeinigt, dass die drei Kinder die eine Hälfte der Zeit bei der Klägerin und die andere Hälfte bei L verbringen.
Die Klägerin beantragte im Mai 2012 sich und ihre drei Kinder Leistungen nach dem SGB II. Nach den von dem Beklagten daraufhin eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen des Gutachterausschusses für Grundstückswerte in der Stadt I. vom 23. August 2012 beträgt der Wert der oberen Eigentumswohnung mit 39 m² 38.000,00 EUR und der Wert der unteren Eigentumswohnung mit 63 m² 64.000,00 EUR.
Der Beklagte gewährte der Klägerin sodann vorläufig darlehensweise Leistungen nach dem SGB II für Juni und Juli 2012 jeweils in Höhe von 437,14 EUR (Bescheid vom 29. Juni 2012; Widerspruchsbescheid vom 7. August 2012). Die Bewilligung erfolgte vorläufig mit der Begründung, dass die Klägerin selbstständig sei und ihr Einkommen für den Bewilligungszeitraum noch nicht feststehe.
Am 11. September 2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass L der Eintragung einer Grundschuld in das Grundbuch des Amtsgerichts I. zugunsten des Beklagten nicht zustimme und insoweit ein Schreiben des L vom 19. September 2012 vorgelegt. Es sei ihr auch nicht zuzumuten, eine zivilrechtliche Klage gegen L zu erheben, um seine Zustimmung zu erzwingen, insbesondere wegen des zu berücksichtigenden Kindeswohls. Zwar bewohne die Klägerin ihre Wohnungen nicht selbst, sie würden aber zur Versorgung ihrer Kinder, denen gegenüber sie unterhaltspflichtig sei, genutzt. Dieser Umstand sei einer Selbstnutzung gleichzusetzen. Unter dem 30. Oktober 2012 teilte die Prozessbevollmächtigte der Kläger mit, dass die Klage auch für die drei jüngeren Kinder der Klägerin, die bisherigen Kläger zu 2. bis 4., erhoben werde.
Das SG hat mit Urteil vom 8. September 2015 den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2012 verurteilt, die der Klägerin gewährten Leistungen als Zuschuss zu gewähren. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage hinsichtlich der (bisherigen) Kläger zu 2. bis 4. bereits unzulässig sei, da sie nach Ablauf der Klagefrist gemäß § 87 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden sei. Im Übrigen sei die Klage zulässig und begründet. Die im Miteigentum der Klägerin stehenden Wohnungen seien zwar verwertbar. Die Eigentums...