Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführung ohne Auftrag. Anspruch auf Aufwendungsersatz. Voraussetzungen der Besorgung eines fremden Geschäfts. Direktbezug von Blutgerinnungsfaktoren
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen der Besorgung eines fremden Geschäfts nach den Vorschriften zur Geschäftsführung ohne Auftrag beim Direktbezug von Blutgerinnungsfaktoren.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 10. März 2021 geändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 233.726,61 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin macht Ansprüche auf Aufwendungsersatz aus abgetretenem Recht geltend.
Die vormals unter der Firma K. GmbH geführte Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Facharzt für Transfusionsmedizin PD Dr. L. ist. Der Arzt war bis September 2022 zugleich Einzelunternehmer des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) M., das als hämostaseologische Facharztpraxis an der vertragsärztlichen Versorgung mit Vertragsarztsitz in N. teilnimmt. Trägerin des MVZ ist inzwischen die M. MVZ GmbH; PD O. ist dort seit Oktober 2022 als angestellter Arzt tätig.
Für die Versorgung des bei der Beklagten versicherten A. mit Blutgerinnungsfaktoren im Rahmen der ärztlich kontrollierten Selbstbehandlung von Blutern lieferte die Bayer Vital GmbH (Herstellerin) am 26. Mai 2015 30 Packungen Kogenate Bayer 2000 Fertigset an die Klägerin. Hierfür stellte sie der Klägerin 51.000,00 Euro netto zzgl Umsatzsteuer (19 % = 9.690,00 Euro), mithin 60.690,00 Euro brutto in Rechnung (Rechnung vom 26. Mai 2015). Die Klägerin zahlte darauf unter Abzug des ihr eingeräumten Skontos (iHv 1,5 %) 59.779,65 Euro durch Überweisung von ihrem Geschäftskonto.
Anschließend stellte sie ihrerseits der Beklagten 62.728,40 Euro (abzüglich einer Zuzahlung iHv 10 Euro) in Rechnung. Dabei gab sie in ihrer Rechnung vom 8. Juni 2015 (Rechnungs-Nr 15097) Namen, Geburtsdatum und Versichertennummer des Versicherten sowie die Artikelbezeichnung „Kogenate 2000 I. E.“ und den Faktor 30 an. Die Rechnung enthält außerdem die Anmerkung „Aufwendungsersatz gemäß Arzneimittelversorgungsvertrag zwischen den Ersatzkassen und dem DAV Berlin vom 01.08.2013, Anlage 2 Teil 1: (P. -Einkaufspreis zzgl. 3% + 6,38 Euro pro Packung)“.
Die Beklagte lehnte eine Begleichung der Forderung auch nach einem Gespräch zwischen den Beteiligten und wiederholten Mahnungen ab. Dazu vertrat sie ua in einem Schreiben vom 22. Dezember 2015 die Auffassung, dass der Klägerin kein Anspruch in der geforderten Höhe zustehe. Ihr stünden weder Verzugszinsen und Mahngebühren noch Verwaltungsgebühren zu. Die eingereichten Rechnungen könnten nicht akzeptiert werden und seien zu korrigieren. In einem weiteren Schreiben (vom 13. Oktober 2016) erklärte die Beklagte, dass der Rechnungsbetrag, über den Einigung bestehe, nach Eingang einer korrigierten Rechnung über diese (unstreitigen) Beträge selbstverständlich gezahlt werde.
Am 10. November 2016 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben, mit der sie nunmehr einen Anspruch auf Aufwendungsersatz iHv 61.788,91 Euro nach §§ 670, 683 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aus abgetretenem Recht nebst Zinsen (iHv 4 % ab dem 4. September 2015 ≪gesetzliche Zinsen≫ sowie iHv 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. November 2015 ≪Verzugszinsen≫) geltend gemacht hat. Dazu hat sie vorgetragen, dass das MVZ M. den Versicherten im Rahmen der ärztlich kontrollierten Selbstbehandlung von Blutern versorgt habe, indem es die Faktorpräparate „über die Klägerin direkt beim Hersteller“ bezogen und an den Versicherten abgegeben habe. Sie sei vom MVZ M. als Rechenzentrum gemäß § 300 Abs 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) beauftragt worden, die diesbezügliche Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen vorzunehmen. Das MVZ M. habe die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche auf Aufwendungsersatz an sie abgetreten. Mit ihrer Rechnung habe sie den Ersatz der entstandenen Aufwendungen in Höhe der verauslagten Kosten für die Arzneimittel sowie der „weiteren Aufwendungen, die für die Beschaffung und Abgabe angefallen sind (3 % des Nettopreises pauschal zzgl. 6,38 € pro Packung zzgl. Umst.)“ unter Anwendung des zwischen den Ersatzkassen und dem Deutschen Apothekerverband e.V. (DAV) geschlossenen Arzneiversorgungsvertrages bzw des Arzneiliefervertrages zwischen dem Niedersächsischen Landesapothekerverband und der AOK Niedersachsen gefordert.
Der Anspruch auf Ersatz der für die Versorgung der Versicherten mit Gerinnungsfaktorzubereitungen aufgewendeten Kosten folge aus Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA). Die diesbezüglichen Vorschriften des BGB seien im öffentlichen Recht entspreche...