Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Entschädigungszahlung für einen immateriellen Schaden nach § 198 Abs 2 S 1 und 3 GVG ist einmaliges Einkommen iS des § 11 SGB II und auf SGB II-Leistungen anzurechnen.
2. Es ist weder gem § 11a Abs 2 SGB II noch gem § 11a Abs 3 SGB II oder § 1 Alg II-V (juris: AlgIIV 2008) von der Anrechnung ausgenommen.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 24. September 2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin für beide Rechtszüge keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der ihr mit Änderungsbescheid vom 27. Juli 2017 für die Monate Oktober bis November 2017 gewährten Leistungen. Streitig zwischen den Beteiligten ist die Anrechnung einer Entschädigung nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) auf die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die 1955 geborene Klägerin steht seit längerem im Leistungsbezug bei dem Beklagten. Sie lebt in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem 1954 geborenen Ehemann. Auch dieser erhielt in der Vergangenheit Leistungen von dem Beklagten. Seit August 2013 wurde für ihn Pflegegeld gewährt. Seit Januar 2015 erhielt er keine Leistungen mehr von dem Beklagten, sondern Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Die Klägerin erhält seit 2010 Rente von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund, die auf ihren Anspruch nach dem SGB II angerechnet wird.
Zwischen den Beteiligten war in der Vergangenheit die Höhe der zu berücksichtigenden Kosten für Unterkunft und Heizung (KdUH) streitig. Nach Abschluss des vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim geführten Verfahren S 24 AS 1867/10 betreffend die KdUH für Juli bis Dezember 2009 erhob die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann wegen der überlangen Dauer dieses Gerichtsverfahrens Klage. In diesem Verfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen (L 10 SF 7/16 EK AS) schlossen die Klägerin und ihr Ehemann mit dem Land Niedersachsen am 24. April 2017 einen Vergleich. Das Land Niedersachsen verpflichtete sich darin, an die Klägerin und ihren Ehemann jeweils eine Entschädigungssumme für die immateriellen Schäden iHv 2.100,00 Euro, zahlbar auf das Konto des Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt H., zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits trugen die Kläger und das Land Niedersachsen jeweils zur Hälfte. Zu diesem Verfahren war der Beklagte beigeladen. Der Beschluss über den Vergleich ging dem Beklagten am 27. April 2017 zu.
Der Beklagte bewilligte auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin hin mit Bescheid vom 15. November 2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 26. November 2016 (Anpassung der Regelbedarfsleistungen) für die Zeit von Januar bis Dezember 2017 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der Rente wegen voller Erwerbsminderung und wies für die Klägerin den Betrag von monatlich 206,74 Euro aus. Nachdem am 24. Juli 2017 der Bescheid der I. J. über die Rentenanpassung zum 1. Juli 2017 einging, erließ der Beklagte den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 27. Juli 2017 für die Monate Juli/August 2017 iHv je 7,25 Euro gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und am selben Tag einen Änderungsbescheid betreffend die Monate September bis Dezember 2017. Es ergab sich nun ein monatlicher Anspruch der Klägerin iHv 199,49 Euro.
Aus den am 2. August 2017 beim Beklagten eingegangenen Kontoauszügen der Klägerin ergab sich eine Gutschrift betreffend die Entschädigung aus dem Verfahren L 10 SF 7/16 EK AS am 19. Mai 2017 iHv 3.000,00 Euro. Der Beklagte hörte daraufhin die Klägerin am 28. August 2017 zur beabsichtigten Aufhebung für den Monat Juni 2017 iHv 206,74 Euro und für die Monate Juli bis September 2017 iHv 199,49 Euro, insgesamt 805,21 Euro an. Die Klägerin habe einmaliges Einkommen iHv 3.000,00 Euro erzielt, das gemäß § 11 Abs 3 SGB II auf sechs Monate aufzuteilen sei und zum Wegfall des Anspruchs führe. In der Folgezeit erging der entsprechende Aufhebungs-und Erstattungsbescheid vom 18. September 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. November 2017 (vgl das im Senat anhängige Verfahren L 11 AS 1043/18).
Ohne vorherige Anhörung erging am 28. August 2017 der streitbefangene Aufhebungsbescheid. Die Klägerin sei aufgrund der am 19. Mai 2017 erhaltenen einmaligen Entschädigung nach § 198 GVG unter Berücksichtigung des § 11 Abs 3 Satz 1 SGB II für die Dauer von sechs Monaten nicht bedürftig gewesen. Denn der Entschädigungsbetrag von 3.000,00 Euro sei nicht privilegiertes Einkommen und auf sechs Monate aufzuteilen. Der monatliche Teilbetrag übersteige den Anspruch nach dem SGB II. Dementsprechend werde die vorangegangene Bewilligung von SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober bis 30. November vollständig aufgehoben.
Den hier...