Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. erneute Zulassung eines Vertragsarztes nach Rückgabe der Zulassung vor drohender Zulassungsentziehung. Bewährungsfrist bei Auswahlentscheidung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Arzt, der die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung gröblich verletzt hat und einer drohenden Zulassungsentziehung durch Rückgabe der Zulassung zuvorgekommen ist, um sich im Anschluss hieran sofort um eine Neuzulassung zu bewerben, kann diese regelmäßig nicht vor Ablauf einer Bewährungsfrist von fünf Jahren erhalten.
2. Bei der Auswahlentscheidung nach § 103 Abs 4 SGB 5 können die Zulassungsgremien nur Bewerber berücksichtigen, die die Voraussetzungen für eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung erfüllen. Kann einer der Bewerber auf Grund einer noch laufenden Bewährungsfrist nicht zugelassen werden, ist er in die zu treffende Auswahlentscheidung nicht mit einzubeziehen.
Orientierungssatz
Aus der gesetzlichen Wertung in § 95b Abs 2 SGB 5 ergibt sich, dass früheren Vertragsärzten als Folge einer Pflichtverletzung der erneute Zugang zum System der vertragsärztlichen Versorgung für mehrere Jahre versperrt sein kann. Eine derartige Wiederzulassungssperre schränkt zwar ebenso wie eine Zulassungsentziehung wegen gröblicher Pflichtverletzung die Berufsfreiheit in einem Maße ein, das in seiner Wirkung einer Beschränkung der Berufswahl iS von Art 12 Abs 1 GG nahekommt. Sie ist aber durch schwerwiegende Allgemeininteressen - hier insbesondere durch ein nachhaltig gestörtes Vertrauensverhältnis des Vertragsarztes zu den KÄVen und den Krankenkassen - gerechtfertigt (vgl BSG vom 17.6.2009 - B 6 KA 16/08 R).
Tenor
Auf die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1. wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. Juli 2006 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 9., die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 182.199,23 Euro.
Tatbestand
Der Kläger ist Facharzt für Urologie. Er begehrt die Zulassung als Vertragsarzt als Nachfolger des Beigeladenen zu 9. in H. im Wege der Praxisnachfolge anstelle des Beigeladenen zu 10.
Dem 1962 geborenen Kläger wurde am 16. Dezember 1990 die Approbation erteilt. Von 1992 bis 1997 arbeitete er - nach Ableistung des Wehrdienstes in der Zeit von 1991 bis 1992 - als Stabsarzt und danach als Assistenzarzt an der Urologischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses I.. Seit dem 6. August 1997 ist er Facharzt für Urologie. Vom 1. Januar 1998 bis zum 30. Juni 2001 war er als Facharzt für Urologie in J. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) K. nahm für die Quartale IV/1998 bis IV/1999 sachlich-rechnerische Berichtigungen der Ziffer 809 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM; Elektromyographische Untersuchung mit Oberflächenelektroden oder elektroneurographische Untersuchung mit Bestimmung≪en≫ der motorischen Nervenleitgeschwindigkeit) und der Ziffer 8653 (in K.: Onkologische Behandlung solider Tumoren gemäß Onkologie-Vereinbarung)vor. Die Streichung der Ziffer 809 EBM begründete die KÄV K. damit, dass diese Ziffer bei zahlreichen Patienten zusammen mit den Ziffern 1784 und 1785 EBM (Blasenspiegelung) durchgeführt worden sei, nach derartigen Untersuchungen aber das EMG nicht zu verwerten sei. Zudem hätten sich aus vielen Behandlungsausweisen keine Indikationen für die Untersuchung nach Ziffer 809 EBM gefunden. Bei der Abrechnung der Ziffer 8653 seien in 5 Fällen aus den in den Behandlungsunterlagen angegebenen Diagnosen keine Tumorerkrankungen ersichtlich gewesen, in 3 Fällen habe der Kläger den Verdacht auf einen Tumor bzw. Ausschluss eines Tumors genannt, doch sei bei Verdachtsfällen die Ziffer 8653 nicht abrechenbar, zumal sie sich in den folgenden Quartalen nicht bestätigt hätten. In 80 weiteren Fällen seien für einen Facharzt für Urologie fachfremde Tumore abgerechnet worden.
Der Kläger legte Widerspruch ein und reichte eine Liste der Patienten mit der fehlenden Diagnoseziffer ICD 10 ein, um die Indikation für die Ziffer 809 EBM zu begründen. Da es vielfach Verdachtsdiagnosen oder Ausschlüsse gewesen seien, habe er vergessen, diese anzugeben. Auch hinsichtlich der Streichung der Ziffer 8653 legte er eine Liste mit 28 urologischen Karzinom-Diagnosen bei. Gegen die übrigen Streichungen der Ziffer 8653 wegen fachfremder Tumore legte er keinen Widerspruch ein.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens forderte die KÄV K. vom Kläger kombinierte EMG-/Uroflow-Kurven von 6 Patienten je Quartal und Kopien des histologischen Befundes für urologische Tumore von 14 Patienten an.
Daraufhin räumte der Kläger bzgl der Ziffer 8653 ein, dass in 11 der 14 angeforderten Fälle kein urologischer Tumor vorgelegen habe. Gleichwohl wurden in einigen dieser Fälle bei der Quartalsabrechnung II/2000 wieder urologische Karzinome...