Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Kostenerstattung zwischen Sozialhilfeträgern bei Umzug. Interessenswahrungsgrundsatz. Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten. Übernahme der Kosten des Aufenthalts im Frauenhaus in Höhe des Tagessatzes. Entgeltvereinbarung. Einrichtungsbegriff des § 93 BSHG

 

Leitsatz (amtlich)

Der Begriff der "Einrichtung" iS von § 93 Abs 1, 2 BSHG geht über den Einrichtungsbegriff der §§ 100 Abs 1 Nr 1 und 5 BSHG sowie § 97 Abs 4 SGB 12 hinaus und erfasst auch Institutionen im ambulanten Bereich wie beispielsweise Frauenhäuser.

 

Orientierungssatz

Zur Rechtsmäßigkeit der Übernahme der Kosten der Aufenthalte in Frauenhäusern in Höhe der mit den Trägern der Einrichtungen vereinbarten Tagessätze im Rahmen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem § 72 iVm § 93 Abs 2 BSHG.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 14. März 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt 4/5 und die Klägerin 1/5 der Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird endgültig auf 19.774,73 € festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die ihr durch den Aufenthalt der Hilfeempfängerin E. sowie deren beiden minderjährigen Kinder F. und G. vom 9. Juni bis 20. September 2004 in einem Frauenhaus entstandenen Kosten gemäß § 107 Abs 1 BSHG zu erstatten.

Frau E. (geboren am 10. November 1982) sowie ihre beiden Kinder F. (geboren 20. März 2002) und G. (geboren 2. Februar 2004) lebten bis zum 9. Juni 2004 im Bereich der Beklagten in einer gemeinsamen Wohnung mit dem Lebensgefährten der Frau E., Herrn H. I., der auch der leibliche Vater von G. ist. Um Schutz vor ihrem Lebensgefährten zu finden, begab sie sich mit den beiden Kindern am 8. Juni 2004 zunächst in ein Frauenschutzhaus in Hamburg. Am 9. Juni 2004 wurde sie gemeinsam mit ihren beiden Kindern in das Frauen- und Kinderschutzhaus in Hannover aufgenommen. Ausweislich des Berichtes dieses Schutzhauses war es in der Wohnung in Hamburg immer wieder zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen. Das Kind F. sei von dem Lebensgefährten der Klägerin immer wieder bedroht, beschimpft und misshandelt worden. Frau E. sei daraufhin in das Frauenschutzhaus in Hamburg geflüchtet, habe sich dort aber nicht mehr sicher gefühlt.

Die für die Beklagte handelnde Landeshauptstadt Hannover gewährte Frau E. im Zeitraum vom 9. bis 28. Juni 2004 Leistungen nach dem BSHG in Höhe von insgesamt 3.678,50 € (Tagessätze für die Betreuung im Frauenschutzhaus in Höhe von 51,00 € täglich x 19 Tage x 3 Personen = 2.907,00 €; Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 414,54 €; Beihilfen: 357,00 €). Vom 28. Juni bis 20. September 2004 wohnten Frau E. und ihre beiden Kinder im Frauenhaus der J. in Laatzen. Die ebenfalls für die Klägerin handelnde Stadt Laatzen erbrachte hierfür Sozialhilfeleistungen in Höhe von insgesamt 12.417,73 € (Regelsatzleistungen: 1.706,22 €; Einmalige Leistungen: 130,00 €; Tagessatz des Frauenhauses von 47,46 € x 84 Tage mal 3 Personen = 11.959,92 €). Die Stadt Laatzen forderte die Beklagte letztmalig unter dem 23. Mai 2006 erfolglos auf, die ihr und der Landeshauptstadt Hannover im Zeitraum vom 9. bis 28. Juni 2004 durch den Aufenthalt der Frau E. und ihrer beiden Kinder in den beiden Frauenhäusern (nach Abzug von insgesamt 1.434,48 € im Wesentlichen für Erstattungen) insgesamt verbleibende Kosten in Höhe von 16.096,23 € gemäß § 107 BSHG zu erstatten.

Die Klägerin hat am 17. September 2007 bei dem Sozialgericht Hannover (SG) Klage erhoben, mit der sie begehrt hat, die Beklagte zu verurteilen, ihr für Frau E. und ihre beiden Kinder aufgewendete Sozialhilfeleistungen in Höhe von insgesamt 19.774,73 € (3.678,50 € für die Zeit vom 9. bis 28. Juni 2004 und weitere 16.096,23 € für die Zeit vom 28. Juni bis 20. September 2004) gemäß § 107 BSHG zu erstatten. Sie hat zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, es sei mit dem Grundsatz der Interessenwahrung (§ 111 Abs 1 BSHG) vereinbar, dass sie die Kosten für den Aufenthalt im Frauen- und Kinderschutzhaus und im J. -Frauenhaus in Höhe der mit den Einrichtungsträgern vereinbarten Tagessätze übernommen habe. Diese Hilfeleistung, die über die Gestellung einer Unterkunft hinaus gehe und auch Betreuungs- sowie Beratungsleistungen beinhalte, sei zu Recht erfolgt. Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zu den Kosten in Frauenhäusern umfasse die gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt auch die Kosten für die erforderlichen persönlichen Hilfen für Frauen und ihre Kinder. Sie - die Klägerin - habe als Trägerin der Sozialhilfe mit den Trägern der Frauenhäuser Leistungs- und Entgeltvereinbarungen über die Tagessätze gemäß § 93 Abs 2 BSHG geschlossen. Nach § 4 BSHG entscheide sie über Art, Form und Maß der Sozialhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Beklagte hat ihre Erstattungspflicht weiterhin bestritten. Soweit die Klägerin über die gewährten ...

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