Entscheidungsstichwort (Thema)
gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. innerer Zusammenhang. betrieblicher Grund. privater Grund. tödlicher Absturz. psychische Erkrankung. Selbstmord
Orientierungssatz
Zum Nichtvorliegen eines Arbeitsunfalles eines Monteurs, der von einem Arbeitsplatz auf einem Kran aus ungeklärter Ursache tödlich abstürzte, wenn dieser wenige Monate vorher wegen einer akuten psychischen Belastungsstörung mit suizidaler Krise mehrere Wochen arbeitsunfähig gewesen war.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 6. Dezember 2004 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu erbringen hat.
Die Klägerin ist die Witwe des 1965 geborenen und ... 2001 bei einem Sturz von einem Kran verstorbenen M G (Versicherter). Der Versicherte war seit 1990 bei der Fa N-K GmbH in L beschäftigt, seit Oktober 1999 als Monteur.
Ab dem 4. September 2001 sollte er gemeinsam mit einem Richtmeister und drei weiteren Monteuren bei der Fa E in R Reparaturarbeiten an einem Greiferumschlagkran durchführen. Am 4. September 2001 sollten zunächst die Baustelle eingerichtet, Werkzeug und Material auf den Kran transportiert und Stromanschlüsse mittels Verlängerungskabel hergestellt werden. Gegen 8.00 Uhr traf der Montagetrupp bei der Fa E ein und nahm eine erste Baustellenbegehung vor. Hierzu teilten sich die Mitarbeiter auf und begingen die mit dreiteiligem Seitenschutz (Höhe 1,10 m) ausgerüsteten Arbeitsplattformen des Kranes. Kurz darauf fanden sich die Mitarbeiter - mit Ausnahme des Versicherten - im Maschinenhaus ein. Der Versicherte stürzte wenig später von der Plattform ab und fiel ca 40 Meter tief. Dabei erlitt er tödliche Verletzungen. Nach den Ermittlungen der Polizei R konnte nicht festgestellt werden, wie und warum der Versicherte abstürzte.
Die Beklagte zog die Ermittlungsakte der Polizeidirektion H bei und holte die Auskunft der P BKK vom 14. September 2001 ein, aus der sich ergab, dass der Versicherte vom 4. April 2001 bis 6. Juni 2001 wegen einer akuten Belastungsreaktion arbeitsunfähig war.
Außerdem holte sie das Gutachten von Dr S vom 9. September 2002 ein, der seiner Beurteilung den Bericht von Dr K/v H vom 17. Mai 2001 und die ihm von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie L (stationäre Behandlung vom 3. bis 17. April 2001) zur Verfügung gestellte Krankenakte zugrunde legte:
Die Krankenakte der Klinik L enthält das Erstaufnahmeprotokoll vom 3. April 2001, wonach der Versicherte nach telefonischer Vorankündigung freiwillig zur stationären Aufnahme gekommen sei. Er habe sich stockend und zunächst unzusammenhängend geäußert, er habe bei der Arbeit einen Fehler gemacht, niemandem gegenüber davon berichtet aus Angst, sich zu offenbaren. Er habe Angst, jemand könne aufgrund des Fehlers zu Schaden kommen. Es gebe keinen Ausweg für ihn. Er fühle sich schuldig, alles falsch gemacht zu haben, sein Leben mache keinen Sinn mehr. Zwei Wochen vor der stationären Aufnahme habe er auf Montage in H eine Schweißnaht wohl nur zur Hälfte beendet. Er habe immer daran denken müssen, nicht korrekt gearbeitet zu haben und habe Angst vor Entdeckung. Sollte der Fehler entdeckt werden, werde er von der Firma entlassen, dann sei er bankrott. Er sehe nur noch als Ausweg den Selbstmord. Bei der Aufnahme habe er fast wahnhaft übersteigerte Schuld- und Insuffizienzideen aufgewiesen. Er habe akut Suizidgedanken geäußert und sei mindestens latent suizidal. Im Arztbrief vom 30. Mai 2001 wird die Diagnose "suizidale Krise bei sonstiger akuter, vorwiegend wahnhafter Störung" genannt.
Am 30. April 2001 hatte sich der Versicherte bei Dr K vorgestellt. Er habe die Medikamente nach der Entlassung aus der Klinik L nicht eingenommen. Er sei beeinträchtigt gewesen sowohl von formalen als auch inhaltlichen Denkstörungen mit der nihilistisch anmutenden wahnhaften Überzeugung, dass es weder aus seiner beruflichen noch aus seiner privaten Situation (Hausbau und finanzielle Belastung) einen Ausweg gebe. Er habe sich zwar von akuten Suizidabsichten distanziert. Er sei aber als erheblich suizidal gefährdet anzusehen. Unter medikamentöser Therapie sei es recht rasch zu einer deutlichen Besserung des psychopathologischen Befundes gekommen. Am 5. Juni findet sich der Vermerk, dass der Versicherte die Imap-Reduzierung gut vertragen habe. Ab dem 7. Juni 2001 arbeite er wieder als Monteur.
Nach der Einschätzung von Dr S lässt sich nicht eindeutig beantworten, ob die Erkrankung mit der wahrscheinlichen Diagnose einer suizidalen Krise bei akuter vorwiegend wahnhafter Störung bzw einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen zum Zeitpunkt des Unfalls bereits abgeklungen war; dies sei aber eher unwahrscheinlich. Unter anderem in Anbetracht der Unfall...