Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Tätigkeit als Augenärztin in einer Privatpraxis für Augenheilkunde im eigenen Namen und auf eigene Rechnung auf der Basis eines "Servicevertrages". Abtretung von 65 Prozent ihrer privatärztlichen Honorarforderungen an Praxisinhaberin. Annahme eines relevanten Unternehmerrisikos. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Augenärztin, die gegen Abtretung eines Großteils (hier: 65 Prozent) ihrer privatärztlichen Honorarforderungen in den Räumlichkeiten einer eine augenärztliche Privatpraxis betreibenden GmbH mit der (im Wesentlichen) von der GmbH gestellten Praxisausstattung und dem dort angestellten nichtärztlichen Personal selbstbestimmt Sprechstunden anbietet, ist nicht abhängig beschäftigt, sondern selbständig tätig und unterliegt deshalb nicht der Arbeitnehmerpflichtversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung.
2. Für die Annahme eines relevanten „Unternehmerrisikos“ ist es nicht erforderlich, dass die Selbständige Eigentümerin oder in sonstiger Weise (dauerhafter) alleinige Verfügungsberechtigte ihrer „Betriebsmittel“ ist. Maßgeblich ist vielmehr, wer die für ihre Nutzung wirtschaftliche Last (etwa auch durch Miet-/Pachtzahlungen, Leasing-/Sachdarlehensraten, Franchiseentgelte o.ä.) trägt. Wer diese trägt, verfügt über „eigene“ Betriebsmittel; wer sie nicht trägt, setzt „fremde“ Betriebsmittel ein und ist - soweit auch die sonstigen Umstände dafür sprechen - abhängig beschäftigt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 27.3.2019 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die nicht zu erstatten sind.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens über die Sozialversicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) in ihrer Tätigkeit als Augenärztin bei der Klägerin im Zeitraum vom 1.12.2014 bis 31.1.2016.
Die 2006 gegründete und zum 31.12.2015 aufgelöste Klägerin betrieb u.a. eine Privatpraxis für Augenheilkunde („K.“) in L. Sie befindet sich zurzeit in Liquidation. Die 1980 geborene Beigeladene zu 1) ist Fachärztin für Augenheilkunde. Sie war vor dem streitgegenständlichen Zeitraum zuletzt bei den Beigeladenen zu 2) und 3) gesetzlich kranken- bzw. pflegeversichert. Kontoführender Rentenversicherungsträger für die Beigeladene zu 1) ist die Beigeladene zu 4).
Am 29.1.2015 beantragte die Beigeladene zu 1) bei der Beklagten die Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status‘. Sie gab hierzu u.a. an, seit dem 1.12.2014 einer mehr als geringfügigen „freiberuflichen ärztlichen Tätigkeit“ bei der Klägerin nachzugehen; ihre „Auftraggeber“ seien die einzelnen Patienten, mit denen sie - die Beigeladene - jeweils Behandlungsverträge abschließe. Sie beantrage die Feststellung, dass eine (abhängige) Beschäftigung nicht vorliege. Dem Antrag fügte die Beigeladene einen von ihr als „Servicevertrag“ bezeichneten Vertrag mit der Klägerin vom 14.12.2014 bei. Danach übte die Beigeladene ihre ärztliche Tätigkeit im „K.“ im eigenen Namen und auf eigene Rechnung aus; hierbei werde sie von der Klägerin „unterstützt“ (Nr. 1 des Vertrages). Die Festlegung der Arbeitszeiten - so der Vertrag weiter - obliege ebenso wie die Abführung „von gesetzlichen Abgaben wie Steuern usw.“ der Ärztin (Nr. 1). Die Klägerin stelle der Ärztin für „deren privatärztliche Berufsausübung“ die „Infrastruktur einer augenärztlichen Praxis zur Verfügung“ und unterstütze sie bei „der Durchführung und Abrechnung der privatärztlichen Tätigkeit gegenüber ihren Patienten“ (Nr. 2). Im Gegenzug trat die Beigeladene 65 % (inkl. gesetzlicher Umsatzsteuer) des für ihre Leistungen nach den Maßgaben der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) tatsächlich vereinnahmten Honorars an die Klägerin ab (Nr. 5). Die Klägerin übernahm hierbei „treuhänderisch“ die Bearbeitung und Einziehung der Honorarforderungen (Nr. 5). Der Vertrag enthielt darüber hinaus Bestimmungen, nach denen die Beigeladene ihre Tätigkeit der zuständigen Ärztekammer melden, ihre ärztlichen Pflichten beachten und ihren Beruf „eigenverantwortlich und selbständig“ ausüben müsse; sie sei „bei ihren ärztlichen Entscheidungen an keinerlei Weisungen gebunden“ (Nr. 3). Die Arbeitszeiten richteten sich nach den „persönlichen zeitlichen Möglichkeiten“ der Ärztin; es bestehe weder eine Pflicht, Sprechstundenzeiten anzubieten, noch eine Mindestarbeitszeit (Nr. 4). Während der von ihr angezeigten Arbeitszeiten sei sie allerdings verpflichtet, sich in den Räumen des „M.“ aufzuhalten und Sprechstunden abzuhalten (Nr. 4). Die Auswahl unter mehreren, gleichzeitig arbeitsbereiten Ärzten obliege der Klägerin (Nr. 4). Die Beigeladene war ferner verpflichtet, „unter Kenntlichmachung ihrer Stellung als selbständig...