Entscheidungsstichwort (Thema)

Minderung des Arbeitslosengeld II. wiederholte Pflichtverletzung. vollständiger Wegfall des Arbeitslosengeld II bei jungen Erwachsenen. Verfassungsmäßigkeit. Sachleistungen bzw geldwerte Leistungen nach § 31a Abs 3 SGB 2. Antragserfordernis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gegen eine 100 %-Sanktion (U 25) bestehen bei entsprechender Erhöhung der KdUH-Anteile der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (vgl BSG vom 23.5.2013 - B 4 AS 67/12 R = BSGE 113, 270 = SozR 4-4200 § 22 Nr 68) angesichts der Möglichkeit der Gewährung von Sachleistungen bzw geldwerter Leistungen (§ 31a Abs 3 SGB II) keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Sachleistungen bzw geldwerte Leistungen nach § 31a Abs 3 S 2 SGB II sind - ebenso wie die Leistungen nach § 31a Abs 3 S 1 SGB II - nicht von Amts wegen sondern nur auf Antrag zu erbringen. Dementsprechend führt das Unterlassen einer Entscheidung von Amts wegen über Ansprüche nach § 31a Abs 3 S 2 SGB II nicht zur Rechtswidrigkeit der Sanktionsentscheidung.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 27.06.2018; Aktenzeichen B 14 AS 44/17 R)

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 11. Mai 2015 (S 49 AS 801/14) wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich in der Sache gegen den Sanktionsbescheid vom 21. Januar 2014 (100 % ige Sanktion für den Zeitraum 1. Februar bis 30. April 2014). Der Beklagte hat den Widerspruch wegen fehlenden Nachweises der Bevollmächtigung von Rechtanwalt I.  als unzulässig verworfen.

Die in einer Bedarfsgemeinschaft lebende, 1991 geborene Klägerin, ihre Mutter und die 2001 geborene Schwester bezogen im streitgegenständlichen Zeitraum ergänzende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitslose - (SGB II) von dem Beklagten (vgl. für die Monate Dezember 2013 bis Mai 2014: Bewilligungsbescheid vom 26. November 2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 18. Dezember 2013, 2. Januar 2014 und 13. Januar 2014).

Mit Bescheid vom 17. Juni 2013 hatte der Beklagte in der Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2013 eine erste Sanktion (Beschränkung auf die Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung) festgestellt.

Mit Schreiben vom 11. November 2013 (zugestellt am 18. November 2013) nahm der Beklagte die Zuweisung der Klägerin in eine Maßnahme zur Aktivierung zur beruflichen Wiedereingliederung gemäß § 16 Abs 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs 1 SGB III vor. Es handelte sich um die Maßnahme J. mit zwei Präsenztagen pro Woche. Maßnahmebeginn war der 27. November 2013 um 10.00 Uhr, Maßnahmeende sollte der 26. Mai 2014 sein. In der Rechtsfolgenbelehrung wies der Beklagte darauf hin, dass das Arbeitslosengeld II bereits einmal aufgrund eines Pflichtverstoßes auf die Kosten der Unterkunft und Heizung beschränkt worden sei (Bescheid vom 21. Juni 2013). Lehne die Klägerin ohne wichtigen Grund die Teilnahme an der nun angebotenen Eingliederungsmaßnahme ab, trete sie diese nicht an, breche sie die Maßnahme ab oder werde sie wegen maßnahmewidrigen Verhaltens aus der Maßnahme ausgeschlossen, entfalle das Arbeitslosengeld II gemäß § 31a Abs 2 Satz 2 i.V.m. § 31 Abs 1 Nr 3 SGB II vollständig. Die Minderung dauere drei Monate und beginne mit dem Kalendermonat nach Zugang des Sanktionsbescheides. Der Beklagte informierte auch über die Möglichkeit der Reduzierung des Sanktionszeitraumes und darüber, dass ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbracht werden können bzw. zu erbringen seien, wenn minderjährige Kinder in der Bedarfsgemeinschaft leben.

Die Klägerin trat die Maßnahme nicht an. Der Beklagte hörte sie mit Schreiben vom 23. Dezember 2013 zum möglichen Eintritt einer Sanktion an und wies in dem Schreiben darauf hin, dass es sich um eine wiederholte Pflichtverletzung handele und die Regelleistungen um 100 % gemindert würden. Es bestehe die Möglichkeit der Verkürzung des Sanktionszeitraums und die Möglichkeit, die Kosten der Unterkunft bei nachträglicher regelmäßiger Mitwirkung wieder zu zahlen. Außerdem wies er darauf hin, dass ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen - insbesondere in Form von Lebensmittelgutscheinen - gewährt werden könnten und zwar konkret in Höhe von 176,- Euro monatlich. Das Anhörungsschreiben wurde der Klägerin am 30. Dezember 2013 zugestellt. Sie äußerte sich nicht.

Der Beklagte erließ am 21. Januar 2014 den Sanktionsbescheid, mit dem er feststellte, dass wegen der wiederholten Pflichtverletzung (vorangegangene Pflichtverletzung am 24. Mai 2013) der Anspruch auf Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Februar bis 30. April 2014 vollständig entfalle. Es seien betroffen der Regelbedarf und die Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Eine Begrenzung der Minderung auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung sei hier nicht möglich. Eine Verkürzung des Minderungszeitraums auf 6 Wochen sei nach Abwägung der Interessen nicht gerechtfertigt. In dem Bescheid wies der Beklagten darauf hi...

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