Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Nachreichen der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Beschwerdeverfahren

 

Orientierungssatz

1. § 172 Abs 3 Nr 2 SGG erfasst nicht die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

2. Bei der Frist zur Abgabe einer Erklärung gem § 124 Nr 2 Alt 2, § 120 Abs 4 S 2 ZPO handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist, so dass die Erklärung im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden kann (vgl OLG Hamm vom 4.11.1998 - 8 WF 424/98 = FamRZ 2000, 1225).

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 06.12.2010 aufgehoben.

 

Gründe

1. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 06.12.2010, mit dem der Beschluss über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe vom 08.08.2008 aufgehoben wurde, ist statthaft.

Der mit Wirkung zum 01.04.2008 neu eingeführte § 172 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) steht der Statthaftigkeit der Beschwerde nicht entgegen. Nach dieser Regelung ist die Beschwerde ausgeschlossen gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Die Norm des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG erfasst schon nach ihrem Wortlaut ausschließlich die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, nicht dagegen - wie hier der Fall - die nachträgliche Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 73 a SGG. Auch der Entstehungsgeschichte (hierzu BT-Drucksache 16/7716, S. 106) ist nicht zu entnehmen, dass eine erweiternde Auslegung im vorliegenden Kontext angezeigt wäre (LSG NRW, Beschluss vom 02.09.2008 - L 7 B 228/08 AS; ebenso. LSG NRW, Beschluss vom 29.11.2010 - L 19 AS 1640/10 B).

2. Die Beschwerde ist begründet.

Denn der Kläger hat im Beschwerdeverfahren die von dem SG mehrfach (und ergebnislos) angeforderte Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen eingereicht. Der Kläger hat hinreichend belegt, dass seine Bedürftigkeit nach § 115 ZPO nicht entfallen ist bzw. sich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nicht wesentlich geändert haben.

Hiermit war der Kläger nicht präkludiert. Das Sozialgericht (SG) hat dem Kläger zwar eine entsprechende Frist zur Abgabe der Erklärung gesetzt (gemäß § 124 Nr. 2 Fall 2, § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO). Bei dieser Frist handelte es sich jedoch nicht um eine Ausschlussfrist, so dass die Erklärung im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden kann (Oberlandesge- richt (OLG) Hamm, Beschluss vom 04.11.1998 - 8 WF 424/98, FamRZ 2000, S. 1225; Kothe/Busch in: jurisPR-ArbR 6/2003 Anm. 6 m.w.N.; ebenso Philippi in Zöller, ZPO-Kommentar, 23. Aufl. 2002, § 124 Rn. 10a m.w.N.). Die Gegenansicht (hierzu Kothe/Busch a.a.O.) überzeugt den Senat nicht. Denn nach der Grundregel des § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO (i.V.m. § 202 SGG) sind auch neue Tatsachen und Beweismittel grundsätzlich beachtlich (und nicht präkludiert). Hätte die Gesetzgebung in Abweichung von diesem Grundsatz verspätete Erklärungen gänzlich ausschließen wollen, so müssten die Vorschriften § 120 Abs. 4 Satz 2 und § 124 Nr. 2 ZPO darüber Aufschluss geben (OLG Hamm a.a.O.). Im Übrigen bildet der Ausschluss verspäteten Vorbringens im SGG auch nach dessen Reform zum 01.04.2008 (vgl. jetzt § 106a SGG) einen Fremdkörper (Hauck in: jurisPR-SozR 17/2008, Anm. 4).

Gegen einen Ausschluss verspätet vorgebrachter Tatsachen, Beweise und Erklärungen spricht zudem der Zweck der bewilligten Prozesskostenhilfe. Diese stellt eine besondere Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege dar. Anders als beim Bewilligungsverfahren nach § 118 ZPO geht es bei einem Prüfungsverfahren nach § 120 Abs. 4 ZPO um den Fortbestand einer bereits bewilligten Prozesskostenhilfe und damit um einen bereits begründeten und geschützten Besitzstand (so zutreffend OLG Hamm, a.a.O.).

Bei einem Bewilligungsverfahren nach § 118 ZPO erwächst ein ablehnender Prozesskostenhilfebeschluss zudem nicht in materielle Rechtskraft. Denn Prozesskostenhilfe versagende Beschlüsse sind der materiellen Rechtskraft nicht fähig (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.03.2004, IV ZB 43/03, NJW 2004, S. 1805 m.w.N.). Ein erneuter Prozesskostenhilfeantrag scheitert im Bewilligungsverfahren damit nicht an einer Rechtskraft des ablehnenden Prozesskostenhilfebeschlusses (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 31.07.2008, B 1 KR 6/08 BH; zitiert nach Hauck in: jurisPR-SozR 17/2008, Anm. 4). Diese Möglichkeit einer erneuten Antragstellung steht dem Kläger im Aufhebungsverfahren nach § 120 ZPO nicht zur Verfügung.

3. Kosten sind nicht zu erstatten (§ 127 Abs. 4 ZPO).

4. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2646480

NZS 2011, 520

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