Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Einkommen des Stiefvaters auf den Bedarf des Stiefkindes nach dem SGB 2
Orientierungssatz
1. Auf den Anspruch des hilfebedürftigen Kindes auf Leistungen nach dem SGB 2 ist vorhandenes Einkommen und Vermögen des Stiefvaters ohne die Privilegierung des § 9 Abs. 5 SGB 2 anzurechnen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Stiefeltern ihr Einkommen für Stiefkinder in gleicher Weise einsetzen wie für leibliche Kinder.
2. Wird der Regelbedarf des Kindes durch Kindergeld und gezahlte Berufsausbildungshilfe gedeckt, so besteht kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 2. Bei einem bestehenden Differenzbetrag zum Regelbedarf ist im einstweiligen Rechtsschutz bei vorhandenem Einkommen des Stiefvaters davon auszugehen, dass dieser für den Differenzbetrag aufkommen kann.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 08.06.2007 geändert. Die Antrage auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt. Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Antragstellerinnen leben bzw. lebten (die Antragstellerin zu 1) bis Mai 2007) mit ihrer Mutter und deren neuem Ehemann (P.) in einer Haushaltsgemeinschaft. Die Antragsgegnerin bewilligte ihnen bis zum 31.12.2007 anteilig Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Eine Bescheidung des Fortzahlungsantrags ab 01.01.2006 lehnte die Antragsgegnerin mangels Vorlage von Einkommensnachweisen des P. ab.
Die Antragstellerinnen haben am 05.03.2007 beim Sozialgericht (SG) Dortmund den Antrag gestellt, die Antragsgegnerin einstweilig zu verpflichten, ihnen vorläufig Grundsicherungsleistungen zu bewilligen. Sie haben geltend gemacht, P. verweigere seine Unterstützung sowie die Offenlegung seiner Einkommensverhältnisse, da er sich nicht als unterhaltsverpflichtet ansehe. Die vollständige Anrechnung des Einkommens eines Stiefelternteils widerspreche auch der zu dieser Frage zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung. Hinzu komme, dass beim Einkommen des P. Nachtarbeitszuschläge zu Unrecht bisher berücksichtigt worden seien.
Mit Beschluss vom 08.06.2007 hat das SG die Antragsgegnerin vorläufig verpflichtet, den Anspruch der Antragstellerinnen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Kammer und unter dem Vorbehalt des Ausgangs der Hauptsache vorläufig zu bescheiden und Leistungen für die Zeit ab dem 05.03.2007 auszuzahlen mit der Maßgabe, die Anrechnung des Einkommens des Stiefvaters der Antragstellerinnen vorläufig nach Maßgabe des § 9 Abs. 5 SGB II vorzunehmen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, nach dem Willen des Gesetzgebers liege es nahe, dass das Einkommen von Stiefeltern nicht in gleicher Weise wie das leiblicher Eltern zu berücksichtigen sei, sondern nur in dem eingeschränkten Umfang des § 9 Abs. 5 SGB II Anrechnung finden dürfe. Die Berechnung der Leistungen im Einzelnen hat es der Antragsgegnerin vorbehalten.
Die dagegen gerichtete Beschwerde, mit der die Antragsgegnerin eine fehlerhafte Anwendung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II rügt und der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 18.06.2007), ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). An Letzterem fehlt es hier.
Schon die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs begegnet Bedenken. Nach § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.03.2006 (BGBl. I S. 558) sind bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen. Dem Wortlaut dieser Vorschriften nach sind daher Einkommen und Vermögen des Stiefvaters auf die Ansprüche der Antragstellerinnen ohne die Privilegierung des § 9 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 1 Abs. 2 der Arbeitslosengeld II / Sozialgeld-Verordnung (ALG II-V) anzurechnen. Soweit in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, die weiteren Freibeträge letzterer Bestimmungen seien im Verhältnis von Stiefkindern und Stiefeltern gleichwohl zu berücksichtigen, weil der Gesetzgeber mit der Änderung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB V nur die Ungleichbehandlung von verheirateten und unverheirateten Partnern, die mit den leiblichen Kindern ihres Partners in einer Haushaltsgemeinschaft leben, habe beseitigen wollen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen Beschl. v. 18.04.2007 - L 9 AS 139/07 ER -; SG Berlin Beschl. v. 20.12.2006 - S 37 AS 11401/06 ER), überze...