Entscheidungsstichwort (Thema)
Übernahme von Kosten für ein nicht verschreibungspflichtiges Medikament durch den Grundsicherungsträger
Orientierungssatz
1. Zu der Rechtsfrage, ob unter welchen Voraussetzungen apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Medikamente von der Krankenkasse oder als Mehrbedarf nach § 21 SGB 2 vom Grundsicherungsträger zu übernehmen sind, liegen widerstreitende Entscheidungen des BSG vor, vgl. BSG, Urteile vom 26. Mai 2011 - B 14 AS 146/10 R und vom 06. März 2012 - B 1 KR 24/10 R.
2. Die bei Hilfebedürftigkeit des Betroffenen eingreifenden Teile des Sozialsystems sichern das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum, sofern Versicherte krankheitsbedingt Mittel benötigen, die verfassungskonform nicht dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung unterfallen. Dies gilt hinsichtlich der nach dem SGB 2 und dem SGB 12 zu gewährenden Leistungen sowohl für nicht verschreibungspflichtige als auch für nicht verordnungsfähige Arzneimittel.
3. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht umfassend das Krankheitsbild des Hilfebedürftigen zu ermitteln, um abzugleichen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente übernommen werden können.
Normenkette
SGB II § 21 Abs. 6 Sätze 1-2; SGG § 103 S. 1, § 73a Abs. 1 S. 1; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 115
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 23.01.2013 geändert. Dem Kläger wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin C aus N beigeordnet.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
In der Hauptsache begehrt der Kläger die Übernahme von Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente.
Der Kläger bezieht laufend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und stellte am 20.3.2012 den Antrag auf Gewährung eines besonderen Bedarfs im Hinblick auf die Zuzahlung für Medikamente ab 01.04.2012 in einer Höhe von 72,33 EUR monatlich. Auf Nachfragen der Beklagten teilte der Kläger den Bedarf folgender Medikamente mit: Nagellack "Ciclopoli", Augentropfen "Optive", Hautcreme "Allpresan" und "Gewohl" - Gesamtkosten 83,73 EUR.
Die Krankenversicherung des Klägers - die BARMER GEK - teilte dem Kläger mit Schreiben vom 11.5.2011 mit, die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel könnten nicht übernommen werden. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel könnten vom Arzt verordnet werden, wenn diese in der Ausnahmeliste aufgelistet seien.
Gegen den ablehnenden Bescheid vom 30.4.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2012 hat der Kläger fristgerecht Klage vor dem Sozialgericht (SG) Münster erhoben und zugleich einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt.
Das SG hat mit Beschluss vom 23.01.2013 den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt. Die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II. Ein unabweisbarer Bedarf für nicht verschreibungspflichtige Medikamente ergäbe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht. Der Anspruch auf medizinische Versorgung werde durch die gesetzliche Krankenversicherung abgedeckt. Von der Versorgung ausgeschlossen seien nicht verschreibungspflichtige Medikamente. Ausnahmsweise könnten auch hierfür Kosten übernommen werden nach der Ausnahmeregelung des § 12 der Arzneimittel-Richtlinie, erlassen durch den gemeinsamen Bundesausschuss nach § 34 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Eine Verordnung solcher Medikamente sei nur dann zulässig, wenn diese Medikamente bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Leistungen durch den Träger der Grundsicherung schieden daher ohne weitere Ermittlungen aus. Das SG bezog sich dabei auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen (NW) (LSG NW Beschluss vom 14. März 2012 - L 12 AS 134/12) und eine Entscheidung des BSG (BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 - B 14 AS 146/10 R -, BSGE 108, 235-241).
Gegen den am 28.1.2013 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 22.02.2013 Beschwerde eingelegt. Das Medikament "Ciclopoli" sei erforderlich, um Beeinträchtigungen zu verhindern. Eine orale Therapie aufgrund diverser anderer Erkrankungen sei unmöglich. Das Medikament sei in der Arzneimittelrichtlinie nicht enthalten und werde daher nicht von der Krankenkasse übernommen. Erwerbstätige mit höheren Einkommen könnten gewisse Medikamente aus eigener Tasche bezahlen. Dem Kläger, der ausschließlich Leistungen nach dem SGB II beziehe, stehe diese Möglichkeit nicht offen. Der Kläger überreichte ein weiteres Schreiben seiner Krankenkasse vom 14.06.2013. Die BARMER bestätigt darin, dass die Präparate "Ciclopoli-Lack" und "Optive ATR" nicht in der Übersicht der Arzneimittelrichtlinie enthalten sind. Diese Präparate seien daher nicht verordnungsfähig. Der "Allpresam-Schaum" sei für Erwachsene nicht verordn...