Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Leistungsausschluss für Auszubildende. besonderer Härtefall. Übertragbarkeit der Rechtsprechung des BSG zu § 7 Abs 5 S 2 SGB 2 aF
Leitsatz (amtlich)
1. Eine zur Nichtanwendung des Leistungsausschlusses nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 12 führende, besondere Härte iS des § 22 Abs 1 S 2 SGB 12 liegt nur dann vor, wenn im Einzelfall Umstände hinzutreten, die einen Ausschluss von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB 12 auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, dh als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen lassen. Die hierzu vom BVerwG zu § 26 S 2 BSHG aufgestellten Grundsätze finden bei § 22 Abs 1 S 2 SGB 12 nach wie vor Anwendung.
2. Die Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG zur Parallelvorschrift des § 7 Abs 5 S 2 SGB 2, nach der arbeitsmarktbezogene Härtegründe vorliegen können, ist auf § 22 Abs 1 S 2 SGB 12 nicht ohne weiteres übertragbar, weil insbesondere Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB 12 keine “Erwerbszentriertheit„ nach dem Grundsatz des Förderns aufweisen.
Normenkette
SGB XII § 22 Abs. 1 Sätze 1-2, § 41 Abs. 3, § 42 Nr. 4, § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 14 Sätze 1, 3, § 30 Abs. 1, 7, § 35 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 Sätze 1-3; BSHG § 26 S. 2; SGB II § 7 Abs. 5 S. 2, § 27 Abs. 3 S. 1; BAföG § 2 Abs. 1 Nr. 6, § 7 Abs. 3, § 11 Abs. 1; SGB VI § 43 Abs. 2 S. 2; EingliederungshilfeVO § 13; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4; ZPO § 920 Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 10.06.2014 abgeändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin wendet sich mit der vorliegenden Beschwerde gegen die ihr im Wege der einstweiligen Anordnung durch das Sozialgericht auferlegte Verpflichtung, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.06.2014 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von 595,23 EUR als Darlehen zu gewähren.
Die am 00.00.1977 geborene, voll erwerbsgeminderte Antragstellerin bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer in Höhe von zur Zeit monatlich 288,28 EUR.
Seit dem Wintersemester 2010/2011 ist die Antragstellerin bei der Fachhochschule N im Bachelorstudiengang "Soziale Arbeit" als ordentliche Studierende eingeschrieben. Sie hat bereits mehrere Module dieses Studiengangs erfolgreich absolviert und sich im Rahmen des Abschlussmoduls für den 15.09.2014 zur Prüfung angemeldet. Bei diesem Studiengang handelt es sich um eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung nach § 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG). Das Studentenwerk N lehnte mit Bescheid vom 25.10.2012 die Gewährung von Leistungen nach dem BAföG an die Antragstellerin wegen fehlender persönlicher Voraussetzungen unter Hinweis auf § 7 Abs. 3 BAföG (kein wichtiger oder unabweisbarer Grund für eine andere Ausbildung) ab.
Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin zunächst mit Bescheid vom 19.03.2013 Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für den Zeitraum vom 01.04.2013 bis 31.03.2014, wobei sie die Immatrikulation der Antragstellerin übersah. Nach Kenntnis von diesem Sachverhalt nahm die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 24.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2013 den ursprünglichen Bewilligungsbescheid zurück und ordnete die sofortige Vollziehung der Rücknahme an. Nachdem sich die Antragstellerin hiergegen u.a. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Münster wendete, erkannte die Antragsgegnerin den Anspruch der Antragstellerin für den Zeitraum vom 01.04.2013 bis 31.03.2013 aufgrund von seitens des Sozialgerichts gerügter formeller Mängel (Anhörung, Begründung des Sofortvollzuges) an. Auf die beigezogenen Akten des Sozialgerichts Münster, Az.: S 8 SO 147/13 ER, S 8 SO 215/13 ER und S 8 SO 246/13 wird insoweit Bezug genommen.
Am 28.02.2014 beantragte die Antragstellerin die weitere Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab dem 01.04.2014. Mit Bescheid vom 06.03.2014 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag mit der Begründung ab, dass die Antragstellerin weiterhin als Studentin eingeschrieben und deshalb als Auszubildende, deren Studium dem Grunde nach förderungsfähig sei, vom Leistungsbezug gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen sei. Auch liege bei ihr ein besonderer Härtefall nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht vor. Über den hiergegen eingelegten Widerspruch der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin noch nicht entschieden.
Mit einem am 04.04.2014 bei dem Sozialgericht Münster eingegangenen Sch...