Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. erwerbsfähiger Unionsbürger. Freizügigkeitsbescheinigung. Bleiberecht. Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB 2
Leitsatz (amtlich)
Unionsbürger aus den Beitrittsstaaten haben, solange ihnen ein Bleiberecht zusteht, nach der Änderung des § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 zumindest einen Anspruch auf Leistungen nach § 23 SGB 12.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 12.05.2006 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit vom 21.04.2006 bis zum 30.09.2006 vorläufig Leistungen in Höhe von 276,- Euro monatlich zu bewilligen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt in beiden Rechtszügen die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin 4/5, ein 1/5 trägt die Antragstellerin selbst. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. D aus E bewilligt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Gründe
I.
Die 1986 geborene Antragstellerin ist lettische Staatsangehörige. Nach eigenen Angaben reiste sie vor ca. 1 1/2 Jahren in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr wurde eine Bescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU als Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union erteilt. Sie wurde bis Februar 2006 von ihrem ehemaligen Freund unterstützt, der sie danach der Wohnung verwies. Seit diesem Zeitpunkt hält sie sich bei unterschiedlichen Bekannten auf und erhält von diesen auch Lebensmittel. Sei beantragte zunächst bei der Arbeitsgemeinschaft für Grundsicherung für Arbeitssuchende in E die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 10.02.2006 lehnte die ARGE in E den Antrag unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 SGB II ab. Die Antragstellerin gehöre nicht zum Kreis der Berechtigten, weil sie nicht im Besitz einer Arbeitserlaubnis sei. Am 21.04.2006 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII. Mit Bescheid vom 21.04.2006 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII unter Hinweis darauf ab, dass die Antragstellerin die Voraussetzungen nicht erfülle. Mit Antrag vom 21.04.2006 hat sich die Antragstellerin an das Sozialgericht gewandt mit dem Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu gewähren. Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag abzulehnen. Sie hat zur Begründung ausgeführt, die Antragstellerin habe zumindest einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es greife der Leistungsausschluss nach § 21 S. 1 SGB XII ein, wonach Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt seien, keine Leistungen für den Lebensunterhalt mit Ausnahme der hier nicht in Betracht kommenden Leistungen nach § 34 SGB XII erhielten.
Die Antragstellerin sei als Erwerbsfähige dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II und aufgrund der Sonderregelung des seit 01.04.2006 in Kraft getretenen § 7 Abs. 1 S. 2 SGB vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Die Antragstellerin sei vom Kreis der Leistungsberechtigten im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB ausgeschlossen, da sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Der aufenthaltsrechtliche Status der Antragstellerin ergebe sich wegen § 1 Abs. 2 Nr. 1 des AufenthaltsG aus den Vorschriften des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbehörden (FreizügigkeitsG/EU). Bei der Antragstellerin komme als Rechtsgrundlage für ihr Aufenthaltsrecht lediglich § 2 Abs. 2 Nr. 1, 2. Alternative Freizügigkeitsgesetz/EU in Betracht, wonach freizügigkeitsberechtigt und damit aufenthaltsberechtigt Unionsbürger sind, die sich zur Arbeitssuche aufhalten wollen. Anhaltspunkte für eine Aufenthaltsberechtigung aus einem anderen Grunde lägen nicht vor. Das Sozialgericht hat den Antrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 12.05.2006 abgelehnt und im Wesentlichen ausgeführt, dass durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetzes vom 24.03.2006 § 7 Abs. 2 SGB II neu gefasst sei. Nunmehr seien vom Kreis der Anspruchsberechtigten nach dem SGB II diejenigen Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Gleiches gelte für deren Familienangehörige. Von dieser Ausnahmeregelung werde die Antragstellerin erfasst. Denn als Unionsbürgerin ergebe sich ihr Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 2 Nr. 1, 2. Altern. FreizügigkeitsG/EU. Dort sei bestimmt, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt hätten. Freizügigkeitsberechtigt seien Unionsbürger nach dieser Vorschrift, wenn sie sich als Arbeitnehmer zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen. Da die Antragstellerin ihr Aufenthaltsrecht aus anderen in diesem Gesetz vorgesehenen Vorschriften nicht ableiten könne, stütze sich ihr Aufenthaltsrecht darauf, dass si...