Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für einen sog. Unions-Neubürger mit unbeschränkter und unbefristeter Arbeitsberechtigung-EU durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Ein rumänischer oder bulgarischer Staatsangehöriger, dem als Unionsbürger eine unbeschränkte und unbefristete Arbeitsberechtigung-EU erteilt worden ist, hat den gleichen Zugang zum Arbeitsmarkt wie ein deutscher Arbeitnehmer.
2. Die Rechtsfrage, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB 2 mit europäischem Gemeinschaftsrecht im Fall eines sog. EU-Neubürgers mit einer unbeschränkten und unbefristeten Arbeitsgenehmigung-EU vereinbar ist, lässt sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend klären.
3. Ist eine tatsächliche Verbindung des arbeitsuchenden Antragstellers zum Arbeitsmarkt glaubhaft gemacht, so stehen ihm grundsätzlich alle Leistungen nach dem SGB 2 zur Verfügung. Eine Differenzierung zwischen Fürsorge- und Eingliederungsleistungen ist nach der Konzeption des SGB 2 nicht gerechtfertigt, vgl. EuGH, Urteil vom 04.06.2009 - C-23/08.
4. Solange eine Räumungsklage nicht rechtshängig ist, droht keine Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Damit fehlt es am erforderlichen Anordnungsgrund zur Bewilligung von Leistungen für Unterkunft und Heizung durch einstweiligen Rechtsschutz.
Tenor
Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 15.12.2011 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für die Zeit vom 23.11.2011 bis zum 30.06.2012 die Regelbedarfe nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge zu 1/2. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten. Den Antragstellern wird für das Ausgangsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T aus H bewilligt.
Gründe
Die zulässigen Beschwerden der Antragsteller sind hinsichtlich der Ablehnung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise, bezüglich der Ablehnung des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im vollen Umfang begründet.
Das Sozialgericht (SG) hat zu Unrecht eine Verpflichtung des Antragsgegners abgelehnt, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in dem tenorierten Umfang zu erbringen.
Die Antragsteller haben nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung vorläufig einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB II). Denn sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind bezüglich der Regelbedarfe hinreichend glaubhaft gemacht worden.
Die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegen seit dem 23.11.2011 (Eingang des Antrages auf Erlass der einstweiligen Anordnung beim SG) vor. Nach dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5,237 = NVwZ 2005, Seite 927).
Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind bei den Antragstellen nach der im einstweiligen Verfahren möglichen summarischen Prüfung gegeben. Sie erfüllen die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nrn. 1- 4 SGB II. Denn sie haben das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Sie sind auch erwerbsfähig gemäß § 7 Abs.1 Nr. 2 SGB II und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II).
Die Bedürftigkeit der Antragsteller (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) ist nach der hier gebotenen summarischen Prüfung ebenfalls glaubhaft gemacht. Dabei verkennt der Senat nicht, dass noch Zweifel an der Bedürftigkeit bzw. an dem Umfang der Bedürftigkeit der Antragsteller besteht, da die wirtschaftlichen Verhältnisse nic...