Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindung der Sozialleistungsträger und der Sozialgerichtsbarkeit an die bindende Ausweisungsverfügung der Ausländerbehörde bei einem Unionsbürger. Arbeitslosengeld II. Gewöhnlicher Aufenthalt. Verlust des Freizügigkeitsrechts. Ausreisepflicht. Tatbestandswirkung. Zustellung

 

Orientierungssatz

1. Die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung setzt nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB 2 u. a. voraus, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat.

2. Sind bei einem Unionsbürger die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen, so kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt nach § 5 Abs. 4 S. 1 FreizügigG festgestellt werden. Damit wird die sofortige Ausreisepflicht begründet, wenn nicht Rechtschutz in Anspruch genommen wird.

3. Bei bindender Entscheidung der Ausländerbehörde kommt dem Verlust der Freizügigkeitsberechtigung und der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht verbunden mit einer Abschiebungsandrohung Tatbestandswirkung zu. Ein gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet besteht damit nicht mehr. Sowohl den Sozialleistungsträgern als auch den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist eine eigenständige Prüfung der materiellen aufenthaltsrechtlichen Lage verwehrt.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, § 7 Ab S. 4; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 1; FreizügG/EU § 5 Abs. 4, § 7 Abs. 1 S. 1; ZPO § 180; SGG § 86b Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 17.08.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren über die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe der Bedarfe für Unterkunft und Heizung.

Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Der am 00.00.1981 geborene Antragsteller zu 1) und die am 00.00.1980 geborene Antragstellerin zu 2) sind verheiratet, die am 00.00.2000 geborene Antragstellerin zu 3) ist ihre Tochter. Die Antragsteller zu 1) und 2) haben eine weitere Tochter (geboren am 00.00.1998), die mit ihrem am 00.00.2017 geborenen Kind mit den Antragstellern in einer gemeinsamen Wohnung lebt. Der Name des Vaters dieses Kindes ist gemäß den Angaben der Antragsteller unbekannt.

Die Antragstellerin zu 2) reiste mit den beiden Töchtern anscheinend erstmals im Oktober 2009 in das Bundesgebiet ein. Nach den von dem Antragsgegner eingeholten Auskünften der Einwohnermeldeämter wohnten sie vom 15.10.2009 bis zum 09.02.2011 in N. Anschließend, vom 09.02.2011 bis zum 02.10.2011 (mit einer kurzen Unterbrechung), wohnten sie in L, wo die Antragstellerin zu 2) ein Gewerbe zur Gebäudereinigung anmeldete und (ergänzend) Sozialleistungen bezog. Sodann reiste die Antragstellerin zu 2) mit den beiden Töchtern erneut am 01.03.2013 in das Bundesgebiet ein und hielt sich bis zum 25.04.2013 in C auf. In der Zeit vom 08.06.2013 bis zum 14.06.2013 war sie wegen Hauptverhandlungshaft in der Justizvollzugsanstalt L inhaftiert. Am 14.06.2013 wurde sie wegen gemeinschaftlichen Diebstahls (begangen am 07.06.2013) zu einer Geldstrafe von 600,00 Euro verurteilt. Sie verließ das Bundesgebiet mit den Töchtern zu einem nicht bekannten Zeitpunkt.

Die Antragsteller reisten sodann gemeinsam am 01.02.2014 wieder in das Bundesgebiet ein. Sie hielten sich zunächst in H auf und bezogen dort - neben kurzfristigen geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen - von Februar 2015 bis September 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Die Antragsteller zu 1) und zu 2) traten in diesem Zeitraum wie folgt strafrechtlich in Erscheinung:

Gegen den Antragsteller zu 1) wurde wegen Betruges in zwei Fällen (begangen zum Nachteil des Textilhandelsunternehmens I im Februar 2014) eine Geldstrafe von 500,00 Euro festgesetzt (Strafbefehl vom 28.01.2016).

Gegen die Antragstellerin zu 2) wurde wegen Betruges in zwei Fällen (begangen zum Nachteil des Textilhandelsunternehmens I im Mai 2014) eine Geldstrafe von 900,00 Euro festgesetzt (Strafbefehl vom 04.12.2015).

Gegen den Antragsteller zu 1) wurde wegen Urkundenfälschung (begangen in der Zeit von August 2014 bis November 2014) eine Geldstrafe von 400,00 Euro festgesetzt (Strafbefehl vom 24.03.2015).

Gegen die Antragstellerin zu 2) wurde wegen Diebstahls (begangen zum Nachteil des Textilhandelsunternehmens L im März 2016) eine Geldstrafe von 600,00 Euro festgesetzt (Strafbefehl vom 27.05.2016).

In einem Verfahren auf Prüfung des Rechts auf Freizügigkeit im Bundesgebiet gab der Antragsteller zu 1) am 20.05.2016 gegenüber der Stadt H an, er gehe zurzeit keiner Erwerbstätigkeit nach. Sein Lebensunterhalt werde d...

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