Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme eines Bewilligungsbescheides von Leistungen der Grundsicherung wegen erkennbar unterlassener Anrechnung von bezogenem Kindergeld - grobe Fahrlässigkeit
Orientierungssatz
1. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB 10 nur dann nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.
2. Ist bezogenes Kindergeld nicht auf den Bedarf des Grundsicherungsberechtigten angerechnet worden und hätte sich diesem aufgrund der vorangegangenen Bewilligungsbescheide aufdrängen müssen, dass eine Kindergeldanrechnung unterblieben ist, so ist der ergangene Bewilligungsbescheid über Leistungen der Grundsicherung aufzuheben.
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.01.2020 wird zurückgewiesen. Der Antrag der Kläger auf Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren die Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Erstattungsbescheides für nicht angerechnetes Kindergeld streitig.
Die am 00.00.2006 (Kläger zu 1) bzw. am 00.00.2010 (Kläger zu 2) geborenen Kläger sind die Söhne der Eheleute F und M H. Aus der Ehe ist ein weiteres Kind (N H, geboren am 00.00.1995) hervorgegangen. Die Kläger bezogen zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder seit mindestens Anfang 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zunächst erzielte der Vater der Kläger bis November 2014 Erwerbseinkommen aus einer geringfügigen Tätigkeit. Ab Dezember 2014 wurde bei der klägerischen Bedarfsgemeinschaft nur noch das Kindergeld für die drei Kinder als Einkommen angerechnet (Bewilligungsbescheide vom 06.11.2014 und 16.12.2014).
Am 11.02.2015 begann der Bruder der Kläger eine Ausbildung, für die er eine monatliche Bundesausbildungsbeihilfe (BAB) zum Lebensunterhalt iHv monatlich 216 EUR erhielt, die bei ihm ab März 2015 zusätzlich zum Kindergeld als Einkommen angerechnet wurde (Änderungsbescheid vom 23.02.2015). Ende Mai 2015 trat der Bruder der Kläger eine Vollzeittätigkeit an und schied mangels Hilfebedürftigkeit zum 01.09.2015 aus dem Leistungsbezug aus. Fortan wurde in der klägerischen Bedarfsgemeinschaft in den Monaten September 2015 bis Dezember 2015 nur noch das Kindergeld der Kläger als Einkommen angerechnet und Leistungen iHv monatlich 1.453 EUR bewilligt (Änderungsbescheid vom 14.08.2015). Wegen der Überzahlungen in den Monaten Juli und August erfolgten bestandskräftige Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 28.09.2015.
Mit Weiterbewilligungsantrag vom 17.12.2015 beantragte der Vater der Kläger für die Bedarfsgemeinschaft Leistungen ab Januar 2016. Er beziehe Kindergeld iHv monatlich 568 EUR. Vom Arbeitgeber des Bruders der Kläger wurde eine Verdienstbescheinigung für November 2015 ausgestellt, wonach N H in diesem Monat 1.030 EUR brutto/ 812,96 EUR netto verdient habe. Mit Bescheid vom 28.12.2015 gewährte der Beklagte den Eltern der Kläger und den Klägern Leistungen für Januar 2016 bis Juni 2016 iHv monatlich 1.875 EUR. Das Einkommen aus Kindergeld wurde versehentlich nicht mehr angerechnet. Im Bewilligungsbescheid vom 28.12.2015 wurde der - in allen vorherigen Bescheiden vorhandene - Abschnitt mit der Überschrift "zu berücksichtigendes monatliches Einkommen in Euro" nicht mehr eingefügt. Berechnet wurde in einem optisch durch Umrandung und Fettdruck hervorgehobenen Abschnitt, welcher mit der Überschrift "Beginn der fiktiven Berechnung zur Einkommensverteilung " eingeleitet und mit der Schlussformulierung "Ende fiktiver Berechnung " eingegrenzt wurde, lediglich das Erwerbseinkommen des Bruders N. Eine Berücksichtigung des Kindergeldes erfolgte auch im Rahmen der fiktiven Berechnung nicht.
Nach Zufluss eines Nebenkostenguthabens von 283,61 EUR, wovon kopfanteilig (283,61 x 0,8 =) 226,88 EUR bei den Klägern und ihren Eltern berücksichtigt wurden, gewährte der Beklagte den Klägern und ihren Eltern im Februar 2016 mit Änderungsbescheid vom 14.01.2016 Leistungen iHv (1.875 EUR - 226,88 EUR) 1.648,12 EUR. Das Kindergeld für die Kläger wurde weiterhin nicht als Einkommen angerechnet. Ein Abschnitt mit der Berechnung von Einkommen war nicht vorhanden.
Im Juni 2016 erkannte der Beklagte, dass versehentlich das Kindergeld der Kläger in den Monaten Januar 2016 bis Juni 2016 nicht als Einkommen angerechnet wurde. Mit Schreiben vom 14.06.2016 und 06.07.2016 forderte der Beklagte den Vater der Kläger auf, einen aktuellen Kindergeldbescheid vorzulegen. Der im Juli 2016 vorgelegten Bescheinigung der Familienkasse NRW Ost konnte der Beklagte entnehmen, dass für die Kläger in 2016 monatlich je 190 EUR Kindergeld an den Vater der Kläger gezahlt wurden.
Mit Schreiben vom 12.10.2016 hörte der Beklagte den Vater der Kläger als gesetzlichen Vertreter wegen einer b...