Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Nichtbetreiben des Verfahrens länger als drei Monate

 

Orientierungssatz

1. Eine Klage gilt nach § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen, wenn das Verfahren trotz Aufforderung länger als drei Monate nicht betrieben worden ist.

2. Bei der Frist nach § 102 Abs. 2 SGG handelt es sich um eine Ausschlussfrist, in die eine Wiedereinsetzung nach § 67 Abs. 1 SGG grundsätzlich nicht möglich ist, es sei denn, es liegt ein Fall höherer Gewalt vor.

3. Die Rücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 S. 1 SGG kommt nur dann in Betracht, wenn sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers vorliegen.

4. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung ist als konkludenter Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens zu werten. Besteht Streit über die Wirksamkeit einer Klagerücknahme, so ist das Verfahren fortzuführen und vorrangig zu klären, ob Erledigung eingetreten ist.

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 05.06.2012 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Im zugrunde liegenden Klageverfahren geht es um Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 11.12.2008 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30.04.2009, 04.05.2009 und 29.04.2009 wegen der Zahlung von Taschengeld an die Kläger zu 2) und 3) durch deren Großeltern.

Das Sozialgericht - SG - hat den Klägern mit Beschluss vom 14.09.2009 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T aus C beigeordnet.

Am 13.05.2011 hat vor dem SG ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden. Dort hat die Klägerin zu 1) angegeben, zunächst nichts von den Taschengeldzahlungen seitens der Großeltern gewusst zu haben. Sie habe davon erst im Zusammenhang mit einer Fahrt der Kläger zu 2) und 3) in das Phantasialand erfahren. Die Kammer hat nach Zwischenberatung darauf hingewiesen, dass der Zeitpunkt der Klassenfahrt maßgeblich für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide sein dürfte. Die Kläger sind gebeten worden, das genaue Datum dieser Fahrt noch in Erfahrung zu bringen. Andernfalls werde von Amts wegen versucht, dieses zu ermitteln. Die mündliche Verhandlung ist sodann vertagt worden.

Am 27.06.2011 hat das SG bei den Klägern nachgefragt, ob mittlerweile das Datum der Klassenfahrt habe ermittelt werden können. Für den Fall, dass dies nicht geschehen sei, sind die Kläger aufgefordert worden, die Schule zu benennen, die die Klägerin zu 2) zum Zeitpunkt des Ausflugs besucht habe. Mit Schreiben vom 30.06.2011 haben die Kläger unter Beifügung einer Bescheinigung der Schule mitgeteilt, die Klägerin zu 2) habe "im April 2007 an der Klassenfahrt nach Prag teilgenommen". Mit Schreiben vom 04.07.2011 hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass im Termin vom 13.05.2011 eine Klassenfahrt ins Phantasialand angegeben worden sei. Hierzu verhalte sich die vorgelegte Bescheinigung nicht. Es bleibe bei der Frage, wann die Fahrt ins Phantasialand stattgefunden habe.

Nach Erinnerung vom 09.08.2011 hat das SG die Kläger mit vom Kammervorsitzenden unterschriebenen Schriftsatz vom 20.09.2011, zugestellt gegen EB am 05.10.2011, aufgefordert, das Verfahren zu betreiben und auf § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - hingewiesen. Mangels Rückmeldung der Kläger bestehe der Verdacht, dass kein Interesse an der Fortführung des Rechtsstreits mehr bestehe.

Mit Schriftsatz vom 02.01.2012 (einem Montag), eingegangen beim SG am 06.01.2012 (einem Freitag), haben die Kläger mitgeteilt, die Angabe einer Klassenfahrt ins Phantasialand im Termin vom 13.05.2011 sei irrtümlich erfolgt. Tatsächlich sei die Fahrt nach Prag gemeint gewesen, über die bereits eine Bescheinigung vorgelegt worden sei.

Am 13.01.2012 hat das SG den Klägern mitgeteilt, die Klage gelte nach § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen, da das Verfahren trotz Aufforderung länger als drei Monate nicht betrieben worden sei.

Am 30.01.2012 haben die Kläger mitgeteilt, dass die relevanten Unterlagen bereits mit Schreiben vom 30.06.2011 vorgelegt worden seien. Im Übrigen sei das Schreiben vom 02.01.2012 noch innerhalb der 3-Monats-Frist versandt worden.

Nach Hinwies des SG auf das Eingangsdatum des Schriftsatzes vom 02.01.2012 haben die Kläger am 13.02.2012 mit Verweis auf die üblichen Postlaufzeiten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und eine eidesstattliche Versicherung einer Kanzleimitarbeiterin des Bevollmächtigten vorgelegt, wonach diese den Schriftsatz vom 02.01.2012 noch am selben Tage versandt habe.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 05.06.2012, den Klägern zugestellt am 18.06.2012, abgelehnt. Eine Wiedereinsetzung in die Frist des § 102 Abs. 2 SGG sei nicht möglich, da es sich nicht um eine gesetzliche Frist i.S.v. § 67 SGG handele. Es liege auch keine höhere Gewalt vor, die eine ausnahmsweise Wiedereinsetzung auch in solchen Fällen ermögliche. Die Kläger hätten ausreichend Zeit gehabt,...

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