Entscheidungsstichwort (Thema)

Beiordnung eines nicht im Bezirk des zuständigen Sozialgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe

 

Orientierungssatz

1. Bei der Bewilligung von PKH ist der Antragsteller grundsätzlich gehalten, einen Anwalt zu wählen, der im Bereich des zuständigen Sozialgerichts seine Kanzlei hat.

2. Diese Einschränkung entfällt dann, wenn im konkreten Fall Mehrkosten durch die Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts offensichtlich nicht zu erwarten sind oder besondere Umstände die Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts erfordern, vgl. LSG Essen, Beschluss vom 25. Oktober 2010 - L 20 AY 93/10 B.

3. Ist der Prozessbevollmächtigte für den Kläger bereits in dem dem Klageverfahren vorausgegangenen Widerspruchsverfahren tätig gewesen, so kann er nach Nr. 3103 VV RVG nur eine abgesenkte Verfahrensgebühr für das Klageverfahren beanspruchen. Ist in einem solchen Fall die Beiordnung eines mit der Sache noch nicht befassten Anwalts nicht kostengünstiger, so ist die Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts zulässig.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 04.05.2012 geändert. Die dem Kläger im Beschluss vom 04.05.2011 bewilligte ratenfreie Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt T aus N erfolgt ohne die Einschränkung "zu den Bedingungen eines im Bezirk des Sozialgerichts Gelsenkirchen niedergelassenen Rechtsanwalts".

Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.

I. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft; der Ausschluss der Beschwerde gemäß § 173 Abs. 3 Nr. 2 SGG ist nicht einschlägig. Die Beschwerde gegen den am 10.05.2012 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts ist auch gemäß § 173 Satz 1 i.V.m. § 64 Abs. 2 und 3 SGG fristgerecht am Montag, dem 11.06.2012, eingelegt worden.

II. Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht hat im vorliegenden Einzelfall zu Unrecht Prozesskostenhilfe nur unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers zu den Bedingungen eines im Bezirk des Sozialgerichts Gelsenkirchen niedergelassenen Rechtsanwalts bewilligt.

1. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 121 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats folgt hieraus, dass der Prozesskostenhilfe begehrende Beteiligte grundsätzlich gehalten ist, einen Anwalt zu wählen, der im Bezirk des zuständigen Sozialgerichts seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei hat. Wählt er einen nicht im Bezirk des zuständigen Sozialgerichts niedergelassenen Rechtsanwalt aus, kann dessen Beiordnung grundsätzlich nur zu den Bedingungen eines im Bezirk des zuständigen Sozialgerichts ansässigen Rechtsanwalts erfolgen, denn regelmäßig entstehen allein durch die Anreise des Rechtsanwalts zur Wahrnehmung eines mündlichen Verhandlungstermins Mehrkosten für die Staatskasse gegenüber der Beauftragung eines ortsansässigen Rechtsanwalts. Dies führt im Ergebnis dazu, dass Reisekosten vom Kanzleisitz bis zum Eintritt in den Bezirk des Prozessgerichts nicht, wohl aber Reisekosten innerhalb des Bezirks des Prozessgerichts beansprucht werden können. (vgl. zum Ganzen den Beschluss des Senats vom 05.09.2007 - L 9 B 35/07 SO -, juris Rn. 5 sowie LSG NRW, Beschl. vom 05.06.2008 - L 8 B 7/08 R -, juris Rn. 3 f.; Beschl. v. 27.06.2008 - L 20 B 60/08 AS -, juris Rn. 4 f.)

Die Einschränkung entfällt nur dann, wenn im konkreten Fall Mehrkosten durch die Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts offensichtlich nicht zu erwarten sind (strenger insoweit LSG NRW, Beschl. v. 25.10.2010 - L 20 AY 93/10 B -, juris Rn. 4; Beschl. v. 30.11.2010 - L 7 AS 1939/10 B -, juris Rn. 3, die einen genauen Kostenvergleich fordern) oder - entsprechend dem Rechtsgedanken des § 121 Abs. 4 ZPO - besondere Umstände die Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts erfordern. Insoweit ist ein mit der Streitsache zusammenhängendes besonderes Vertrauensverhältnis zu dem auswärtigen Rechtsanwalt zu berücksichtigen, sofern dies nach Art und Umfang hinreichend dargelegt wird (vgl. den Beschluss des Senats vom 05.09.2007 - L 9 B 35/07 SO -, juris Rn. 6; LSG NRW, Beschl. v. 27.06.2008 - L 20 B 60/08 AS -, juris Rn. 6).

2. Nach diesen Grundsätzen war dem Kläger sein in N und damit außerhalb des durch § 1 Abs. 2 Nr. 6 des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes im Lande Nordrhein-Westfalen (AG-SGG) beschriebenen Gerichtsbezirks des Sozialgerichts Gelsenkirchen niedergelassener Prozessbevollmächtigter ohne Einschränkung beizuordnen.

a) Dies folgt bereits daraus, dass im konkreten Fall gegenüber der Beiordnung eines im Bezirk des Sozialgerichts Gelsenkirchen niedergelassenen Rechtsanwalts offensichtlich keine Mehrkosten zu erwarten sind. Zwar beträgt die einfache Entfernung zwischen der Kanzlei d...

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