Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzneimitteln. Fertigarzneimittel. Apothekenpflicht. Concerta. Ritalin. Zulassung. Off-lable-use. Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels außerhalb des vorgegebenen Zulassungsbereiches
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Qualitätssicherung bei Fertigarzneimitteln erfolgt – anders als bei Rezepturarzneimitteln – nicht im Rahmen des durch § 135 SGB V vorgegebenen Sicherungssystems, sondern nach den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes.
2. Ein Arzneimittel, dem die Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG fehlt, ist regelmäßig im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnungsfähig.
3. Darüber hinaus dürfen Arzneimittel, die eine Zulassung haben, im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht für die Behandlung solcher Anwendungsgebiete verordnet werden, auf die sich die Zulassung nicht erstreckt (vgl. § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 AMG).
4. Ausnahmsweise ist die Verordnung eines Arzneimittels auch außerhalb des nach den Bestimmungen des AMG vorgegebenen Zulassungsbereichs möglich, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden, d. h. lebensbedrohenden oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung geht, keine andere Therapie für die Erkrankung verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein kurativer oder palliativer Behandlungserfolg erzielt werden kann (BSGE 89, 184 ff.).
5. Von den gesteigerten Voraussetzungen für die Erfolgsprognose einer Therapie muss abgesehen werden, wenn die Datenlage wegen der Art der Erkrankung oder wegen ihres seltenen Auftretens nicht hinreichend gesichert werden kann, um die Qualitätsstandards zu erfüllen (BVerfGE 115, 25 ff. ).
Orientierungssatz
1. Die Verordnungsfähigkeit eines Fertigarzneimittels beschränkt sich auf diejenigen Anwendungsgebiete, auf die sich die Zulassung erstreckt. Für die Medikamente Concerta und Ritalin beschränkt sich deren Zulassung auf die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen mit der Diagnose ADHS (Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätssyndrom). Für eine Anwendung bei Erwachsenen besteht keine Zulassung.
2. Eine Verordnungsfähigkeit außerhalb des vorgegebenen Zulassungsbereiches kommt nur unter folgenden Voraussetzungen in Betracht: es muss sich um eine lebensbedrohende bzw. die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handeln, eine andere Therapie ist für die Erkrankung nicht verfügbar, es ist eine begründete Wirksamkeitsprognose vorhanden und die Gefahr durch eine Langzeitbehandlung kann ausgeschlossen werden.
3. Von den gesteigerten Voraussetzungen für die Erfolgsprognose ist nur dann abzusehen, wenn die Datenlage wegen der Art der Erkrankung oder wegen ihres seltenen Auftretens nicht hinreichend gesichert werden kann, um die Qualitätsstandards zu erfüllen.
Normenkette
SGB V §§ 12, 2 Abs. 1 S. 3, § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 31 Abs. 1 S. 1; AMG § 21 Abs. 1, § 22 Abs. 1 S. 1
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 09. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Kläger (d. Kl.) begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Detmold. Mit seiner Klage wendet er sich gegen die Weigerung der Beklagten (d. Bekl.), ihm auf der Grundlage von § 27 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 3 sowie § 31 Abs 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) methylphenidathaltige Arzneimittel ("Ritalin®" oder "Concerta®") als Sachleistung zu verschaffen. Der 1973 geborene, bei d. Bekl. seit Geburt krankenversicherte Kläger leidet seit langen Jahren an psychischen Störungen. Festgestellt wurden bei ihm eine kombinierte Persönlichkeitsstörung und wiederkehrende depressive Störungen; außerdem ist er wegen eines ausgeprägten Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) in ärztlicher Behandlung. Er bezieht Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Im August 2007 legte er d. Bekl. ein Attest des behandelnden Nervenarztes T vor, der ihm bescheinigte, zur Verbesserung der Impulskontrolle und der Konzentrationsfähigkeit erhalte d. Kl. seit April 2007 das Medikament "Ritalin®". Das Medikament sei - wie das gleichartige Medikament "Concerta®" - nützlich und erforderlich. Die Medikamente sind in Deutschland zur Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen zugelassen; für Erwachsene dürfen sie bei der Diagnose "Narkolepsie" (Tagesmüdigkeit) eingesetzt werden. Der von d. Bekl. gehörte medizinische Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Dr. X wies auf einen Bericht einer MDK-Expertengruppe vom 16.03.2006 hin, wonach der in den genannten Medikamenten enthaltene Stoff Methylphenidat nach amerikanischen Untersuchungen durchaus auch bei Erwachsenen wirksam sei, es jedoch eine erhebliche Unsicherheit über die Wirkungen einer Langzeitbehandlung Erwachsener bestehe. Deshalb dürften die gewünschten Medikamente bei d. Kl. nicht verabreicht werden. Im Übrigen lägen keinerlei Erkenntnisse vor, ob die Lebensqualität d. Kl. nachhaltig beeinträchtigt wer...