Entscheidungsstichwort (Thema)

Einlegung eines Rechtsmittels per E-Mail

 

Orientierungssatz

1. Für die Wirksamkeit der Klageerhebung und Berufungseinlegung müssen zur Sicherung der Authentizitätsfunktion besondere Anforderungen erfüllt sein. Diese wird durch einfache E-Mails nicht gewährleistet. Ein per E-Mail eingelegtes Rechtsmittel kann dann die Schriftform wahren, wenn die nach § 65a Abs. 1 S. 1 SGG verlangten landesrechtlichen Vorgaben existieren und mittels digitaler Signatur erfüllt sind.

2. Für Nordrhein-Westfalen bestehen keine landesrechtlichen Regelungen. Deshalb kann eine Berufung zum LSG nicht wirksam mittels E-Mail eingelegt werden.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22.08.2006 wird verworfen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Das Sozialgericht (SG) Köln hat mit Urteil vom 22.08.2006 eine auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 30 nach den Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuch (SGB IX) gerichtete Klage des Klägers abgewiesen. Dieses Urteil wurde dem seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers, einem Rechtsanwalt, mit Empfangsbekenntnis (EB) vom 13.09.2006 zugestellt.

Unter dem 13.10.2006 erreicht das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) eine E-Mail von "xxx@hotmail.com". Der Text dieser E-Mail nimmt Bezug auf ein Aktenzeichen Nr. "100/02G/vd:" und führt unter "Betreffs" auf: "Widerruf des Urteils des Sozialgerichts Köln (S 24 (17) SB 338/04) vom 22.08.2006". Im Text der E-Mail heißt es weiter: "Hiermit lege ich Berufung ein gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln ...". Die E-Mail endet mit "Mit freundlichen Grüßen Herr L N".

Der Text der E-Mail ging in Papierform unter dem 16.10.2006 bei dem LSG NRW ein. Dieses Schreiben enthält ausschließlich einen maschinenschriftlichen Text und ist nicht unterzeichnet.

Erstmals am 06.02.2007 erreichte das Gericht ein offenbar von dem Kläger persönlich unterzeichnetes Schreiben, in welchem er sich inhaltlich zum Berufungsbegehren äußert.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22.08.2006 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 05.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2002 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 30 festzustellen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist unzulässig. Sie wurde nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt.

Nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach Abs. 2 S. 1 der Vorschrift ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem SG schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Berufung des Klägers ist nicht binnen dieser Frist eingelegt worden.

Das angegriffene Urteil des SG Köln wurde dem Kläger am 13.09.2006 zugestellt; dies bestreitet er nicht. Damit endete die Berufungsfrist am 13.10.2006 (§ 64 Abs. 2 SGG). Die Berufung wurde jedoch frühestens am 06.02.2007 eingelegt.

Bei der E-Mail handelt es sich um ein elektronisches Dokument (Zeihe, SGG, § 151 Rdn. 5). Trotz der Verfügbarkeit moderner Kommunikationsmittel und dem sich allgemein durch Bürgerfreundlichkeit und fehlende Formstrenge auszeichnenden sozialrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren müssen für die Wirksamkeit der Klage/Berufung zur Sicherung der Authentizitäts- und Sicherungsfunktion besondere Anforderungen erfüllt sein. Für das Gericht muss erkennbar sein, dass die Berufung vom Berufungsführer herrührt und dieser sie wissentlich und willentlich in den Verkehr gebracht hat (BVerfG vom 11.02.1987 - 1 BvR 475/85 - und vom 04. 07. 2002 - 2 BvR 2168/00 - NJW 2002, 3534; GmS OGB 1/98 = BGHZ 144, 160, 165; BSG vom 18.12. 2003 - B 1 KR 1/02 S - und vom 21.06.2001 - B 13 RJ 5/01 R -: vgl. auch Frehse in: Jansen, SGG, 2. Auflage, 2005, § 151 Rdn. 5 ff.). Diese Authentizitätssicherung wird durch einfache E-Mails nicht gewährleistet. Der Absender ist nicht ausreichend sicher identifizierbar; es besteht die Gefahr von Missbrauch und Täuschung durch Unbefugte (vgl. OVG Niedersachsen vom 17.01. 2005 - 2 PA 108/05 -). Demgemäß bestimmt nunmehr § 65a Abs. 1 Satz 1 SGG, dass die Beteiligten dem Gericht elektronische Dokumente übermitteln können, soweit dies für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich durch Rechtsverordnung der Bundesregierung oder der Landesregierungen zugelassen worden ist. Eine per E-Mail eingelegte Berufung kann sonach dann die Schriftform wahren, wenn die entsprechenden landesrechtlichen Vorgaben existieren und diese Voraussetzung...

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