Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistungen. Einreisemotivation. Gesundheitliche Versorgung. Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei klärungsbedürftiger Rechtsfrage

 

Leitsatz (redaktionell)

Von einer Einreise zum Zweck des Bezugs von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz kann ausgegangen werden, wenn der Kläger bei verständiger Betrachtung nicht hat davon ausgehen dürfen, dass er in der Bundesrepublik von Anfang an auskömmliches Einkommen erzielen würde. Auch die Einreise wegen einer gesundheitlichen Versorgung stellt eine Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG (§ 4 AsylbLG) dar.

 

Orientierungssatz

1. Prozesskostenhilfe ist zu bewilligen, wenn der Rechtsstreit eine offene, aber klärungsbedürftige Rechtsfrage aufwirft.

2. Um Leistungen nach dem AsylbLG zu beziehen, ist nach § 1a Nr. 1 AsylbLG u. a. ein Sich-Begeben in den Geltungsbereich dieses Gesetzes erforderlich. Ob ein solches bereits anzunehmen ist, wenn ein Leistungsempfänger von den Behörden eines anderen Staates in Anwendung des Schengener Abkommens nach Deutschland überstellt worden ist oder ob dieses Merkmal nicht vielmehr ein Einreisen gerade nach Deutschland aus eigenem Willen voraussetzt, ist eine offene und klärungsbedürftige Rechtsfrage. Damit ist bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

 

Normenkette

AsylbLG § 1a Nr. 1, § 4

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 04.07.2008 geändert. Den Klägern wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Detmold Prozesskostenhilfe ab dem 20.02.2008 (Antragseingang) bewilligt und Rechtsanwältin P, P, zu ihrer Vertretung beigeordnet.

 

Gründe

Zur Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Kläger mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung i.S.v. § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) abgelehnt.

Die Kläger sind mit einem sog. Schengenvisum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, nachdem für sie eine Verpflichtungserklärung i.S.v. § 68 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) abgegeben worden war. Sie waren zuvor unter Inanspruchnahme eines sog. Schleppers nach Luxemburg eingereist und hatten dort die Gewährung von Asyl beantragt; die Luxemburgischen Behörden haben die Kläger am 15.06.2005 nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen in die Bundesrepublik überstellt, nachdem die Erteilung des Visums durch die Deutsche Botschaft in der Ukraine festgestellt worden war. Nach Angaben im Asylverfahren war das Visum für die Bundesrepublik in Kiew vom "Schlepper" beantragt worden; erst in Luxemburg hätten sie - die Kläger - von diesem Visum erfahren.

Die Kläger wenden sich gegen einen Bescheid vom 13.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2007, mit dem nurmehr Leistungen nach § 1a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bewilligt wurden. Dabei geht die Beklagte in ihrer Entscheidung davon aus, dass die Kläger eingereist sind, weil bereits Verwandte in der Bundesrepublik leben und weil in der Bundesrepublik eine bessere medizinische Versorgung des genetisch erkrankten Klägers zu 3) (Klumpfuß) möglich sei.

Die Kläger verweisen im Wesentlichen darauf, dass die Erkrankung des Klägers zu 3) ein Abschiebehindernis sein könne. Dies allein würde jedoch eine Gewährung von nurmehr nach den Umständen unabweisbar gebotenen Leistungen im Sinne von § 1a Nr. 1 AsylbLG nicht ausschließen. Denn diese Norm stellt lediglich darauf ab, ob sich die Leistungsberechtigten in den Geltungsbereich des AsylbLG begeben haben, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erhalten.

Von einer Einreise zum Zweck des Leistungsbezuges i.S. der Vorschrift kann ausgegangen werden, wenn ein finaler Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialleistungen besteht (vgl. Senatsbeschluss vom 23.02.2007 - L 20 B 61/06 AY). Sind mehrere Motive möglich oder feststellbar, muss die Inanspruchnahme von Leistungen das prägende Motiv des Hilfesuchenden gewesen sein (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, AsylbLG, 2. Auflage 2008, § 1a Rn. 5). Prägend ist das Motiv des Leistungsbezuges dann, wenn es für den Ausländer neben anderen Gründen so wesentlich war, dass er ansonsten nicht eingereist wäre (vgl. Birk, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 1a AsylbLG Rn. 3). Ein nur beiläufiges Beziehen von Leistungen nach dem AsylbLG, welches anderen Einreisezwecken untergeordnet ist und insoweit nur billigend in Kauf genommen wurde, genügt demgegenüber nicht (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 04.06.1992 - 5 C 22.87 = BVerwGE 90, 212 zu § 120 Bundessozialhilfegesetz ( BSHG)).

Zwar hat der Kläger zu 1) selbst bei einer Vorsprache am 11.02.2008 bei der Beklagten unter Hinzuziehung eines von ihm konsultierten Dolmetschers unterschriftlich bestätigt, dass er vordergründig im gesundheitlichen Interesse seiner Kinder in die Bundesrepublik eingereist sei. Er wolle hier nicht von Leistungen des Staates leben, sondern so schnell wie möglich auf eigenen Beinen stehen und seine Familie selb...

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