Leitsatz (redaktionell)
1. Gänzlich unselbstständig bei der Fortbewegung innerhalb des Wohnbereichs ist nur, wer auch die Hilfe einer Pflegeperson angewiesen ist. Hilfsmittel wie ein Rollstuhl zu benutzten genügt dabei nicht.
2. Eine Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus liegt nicht schon vor, wenn die Betroffenen bereits um 5 Uhr morgens aufstehen.
3. Stoppersocken stellen keine medizinischen Hilfsmittel dar.
4. Ein Hilfebedarf bei der Einhaltung einer Diät liegt nicht deshalb schon vor, weil sich die Betroffenen verbal laut äußern die Diät nicht einhalten zu wollen.
Normenkette
SGG § 153 Abs. 2 analog
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.05.2022 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Gewährung von Leistungen nach dem Pflegegrad 3 in Anspruch.
Der am 00.00.1936 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen das Risiko Pflegebedürftigkeit versichert und bezieht seit Januar 2017 Leistungen nach dem Pflegegrad 2. Er leidet unter einer Minderbelastbarkeit des Stütz- und Bewegungsapparates bei chronischem Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule aufgrund einer Spinalkanalstenose, einer beidseitigen Fußheber- und -senkerparese, einem Impingement-Syndrom, einer Arthrose in den Händen und Knien, einer ausgeprägten Fußfehlform, Diabetes Mellitus Typ 2 mit sensomotorischer Polyneuropathie, einer koronaren Herzerkrankung, einer Aortenklappenstenose, einem Bluthochdruck, einer Harndranginkontinenz sowie unter einer Schuppenflechte. Bei dem Kläger wurde ein GdB von 100 mit den Merkzeichen G und B festgestellt.
Am 12.02.2020 beantragte der Kläger die Gewährung von höheren Leistungen der Pflegeversicherung. Nachdem der (damalige) Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK - jetzt: MD) auf Veranlassung der Beklagten nach persönlicher Begutachtung des Klägers im Rahmen eines Hausbesuchs am 28.02.2020 zu der Auffassung gelangt war, dass der Kläger mit insgesamt 41,25 gewichteten Punkten die Voraussetzungen des Pflegegrades 3 nicht erfülle, lehnte die Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom 03.03.2020).
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass er Hilfe beim Umsetzen benötige, keine Treppen steigen könne, unter einem versorgungsbedürftigen Dekubitus leide, häufiger als dreimal pro Woche zum Arzt gehe und mehr als 45mal pro Woche Hilfe bei der Nutzung diverser Hilfsmittel benötige. Dies habe der MDK nicht berücksichtigt. Zudem sei er hilflos, interessenlos, reizbar, aggressiv, dauerhaft in der Mobilität eingeschränkt, schwerhörig und habe ein gestörtes Langzeitgedächtnis.
Nach erneuter Einschaltung des MDK, der in einer nach Aktenlage verfassten Stellungnahme vom 20.04.2020 abermals nicht zur Annahme des Pflegegrades 3 gelangte, wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 02.09.2020).
Mit seiner am 25.09.2020 bei dem SG Dortmund erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er sei in sämtlichen Modulen stärker eingeschränkt, als der MDK dies in seinen Gutachten bislang festgestellt habe.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2020 zu verurteilen, ihm Leistungen der Pflegeversicherung nach dem Pflegegrad 3 ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Nach Einholung von Befundberichten hat das SG ein Sachverständigengutachten von der Ärztin für Innere Medizin, Kardiologie und Sozialmedizin Dr. S eingeholt. Die Sachverständige ist in ihrem nach Hausbesuch erstatteten Gutachten vom 10.11.2021 zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger mit 38,75 gewichteten Gesamtpunkten die Voraussetzungen des Pflegegrades 2, nicht jedoch des Pflegegrades 3 erfülle.
Der Kläger hat eingewandt: Der Sachverständigen seien grobe handwerkliche Fehler unterlaufen, so dass das Gutachten unter zahlreichen Ungereimtheiten leide. Das Gutachten sei subjektiv, seine Beschwerden jedoch objektiv. So sei er etwa bei der Fortbewegung innerhalb des Wohnbereichs unselbständig, könne Personen aus dem näheren Umfeld nicht mehr gut erkennen, sei manchmal in der zeitlichen Orientierung eingeschränkt (er vergesse z.B. die Wahrnehmung von Arztterminen), leide unter nächtlicher Unruhe. Überdies sei er häufig verbal aggressiv und wehre dabei pflegerisch-unterstützende Maßnahmen ab, habe Ängste und sei depressiv. Seinen Oberkörper könne er nur noch überwiegend unselbständig auskleiden, den Unterkörper nur noch gänzlich unselbständig. Bei der Bewältigung der Folgen seiner Harninkontinenz sei er zumindest überwiegend unselbständig. Die Messung und Deutung von Körperzuständen (Blutdruckmessen) habe die Sachverständige ebenfalls nicht berücksichtigt. Darüber hinaus habe er einen größeren täglichen Hilfebedarf bei den körpernahen Hilfsmitteln, da er auch Noppen-Stoppersocken trage. Zudem leide er nach ...