Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit bei nicht stattgegebenem Vertagungsantrag
Orientierungssatz
1. Eine Befangenheit des Richters ist dann anzunehmen, wenn der abgelehnte Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken missachtet und Grundrechte verletzt oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wird, dass sich bei dem Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen kann.
2. Zu den Grundrechten des wirksamen Rechtsschutzes und des fairen Verfahrens gehört es, dass sich ein Richter nicht widersprüchlich verhalten darf und zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in deren konkreter Situation verpflichtet ist. Dazu gehört die Pflicht, einen Termin zu verlegen, wenn dafür ein erheblicher Grund i. S. des § 227 Abs. 1 ZPO vorliegt.
3. Ein erheblicher Grund ist nicht immer schon dann gegeben, wenn der bevollmächtigte Rechtsanwalt verhinder ist, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Sieht der Richter die Begründung für eine Terminsverlegung nicht als ausreichend an, so muss er den Beteiligten zur Ergänzung seines Vortrags auffordern.
4. Verfährt der Richter nach diesen Vorgaben, so kann sich dessen dienstliche Stellungnahme auf die kurzgefasste Wiedergabe des maßgeblichen Sachverhalts beschränken. Einer im Einzelnen begründeten dienstlichen Äußerung bedarf es nicht.
Tenor
Das Gesuch der Antragstellerin auf Ablehnung von Richter am Sozialgericht W wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.
Gründe
Das Befangenheitsgesuch der Antragstellerin (AS) ist nicht begründet.
Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO] i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Für die Feststellung eines solchen Grundes kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder aber sich selbst für befangen hält. Andererseits begründet die subjektive Überzeugung eines AS oder seine Besorgnis, der Richter sei befangen, allein nicht die Berechtigung der Ablehnung. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Grund vorliegt, der den AS von seinem Standpunkt aus nach objektiven Maßstäben befürchten lassen könnte, der von ihm abgelehnte Richter werde nicht unparteilich entscheiden (std. Rspr., vgl. u.a. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 12.07.1986 - 1 BvR 713/83, 1 BvR 921/84, 1 BvR 1190/84, 1 BvR 333/85, 1 BvR 248/85, 1 BvR 306/85, 1 BvR 497/85 -, vom 05.04.1990 - 2 BvR 413/88 - und vom 02.12.1992 - 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92 -; Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 01.03.1993 - 12 RK 45/92 -).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Die AS begründet ihr Ablehnungsgesuch zunächst damit, dass der abgelehnte Richter dem Vertagungsantrag ihres Bevollmächtigten nicht stattgegeben hat. Mit diesem Vorbringen kann sie indes im vorliegenden Verfahren kein Gehör finden. Denn das Ablehnungsverfahren dient nicht der Überprüfung richterlicher Vorgehensweisen auf etwaige Rechts- bzw. Verfahrensfehler. Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sind grundsätzlich mit dem Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache geltend zu machen. Die Rüge von Rechts- bzw. Verfahrensverstößen kann allenfalls dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass das mögliche Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muss ohne Weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn der abgelehnte Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken missachtet und Grundrechte verletzt hat oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wurde, dass sich bei dem Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (vgl. Bundesfinanzhof (BFH), Beschluss vom 27.09.1994 - VIII B 64-76/94 pp - m.w.N.; Beschlüsse des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.04.2006 - L 10 AR 42/06 und L 10 AR 43/06 - und des Senats vom 25.11.2009 - L 11 AR 117/09 AB -, vom 20.01.2010 - L 11 AR 129/09 AB und L 11 AR 130/09 AB -, vom 17.05.2010 - L 11 SF 102/10 AB -, vom 19.07.2010 - L 11 SF 108/10 AB - und vom 30.03.2011 - L 11 SF 44/11 AB -). Bezogen auf die zur Begründung des Ablehnungsgesuch erhobene Rüge setzt dies voraus, dass erhebliche Gründe für eine Terminverlegung offensichtlich vorlagen, die Zurückweisung des Antrags für den betreffenden Beteiligten schlechthin unzumutbar war und somit dessen Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt oder sich aus der Ablehnung der Terminverlegung der Eindruck einer sachwidrigen Benachteiligung eines Beteiligten aufdrängt (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.04.2006 - V ZB 194/05 - m.w.N.).
Ein solcher Fall liegt nicht vor.
Nach § 202 SGG i.V.m. § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO kann...