Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung. Leistungsausschluss von Unionsbürgern. Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche. Arbeitnehmerstatus. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Maßgeblich für den Arbeitnehmerstatus gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU ist, ob eine Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird.
Der Ausschluss von Unionsbürgern ohne materielles Aufenthaltsrecht bzw. nur mit einem Recht zur Arbeitssuche von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bzw. von Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gem. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz vereinbar.
Normenkette
SGB II §§ 20, 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, S. 2; SGB XII § 23 Abs. 3; GG Art. 1 Abs. 1
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 29.03.2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin T aus L beigeordnet.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes von dem Antragsgegner.
Die am 00.00.1963 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie ist seit Januar 2014 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist derzeit obdachlos.
Sie war zunächst seit dem 03.09.2015 befristet bis zum 02.03.2016 bei der B Service Gruppe beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde sodann mit Schreiben vom 13.04.2016 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis überführt. Mit Schreiben vom 11.07.2016 kündigte die B Service Gruppe das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2016.
Am 17.01.2017 beantragte sie die Weiterbewilligung der Leistung nach dem SGB II ab dem 01.03.2017.
Den Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 19.01.2017 ab. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil sie keinen fortbestehenden Arbeitnehmerstatus und kein Daueraufenthaltsrecht habe.
Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch. Das Kündigungsschreiben habe sie nicht erhalten. Sie habe in der Zeit vom 20.06.2016 bis 26.07.2016 Urlaub genommen. Im Anschluss sei sie erkrankt. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 26.07.2016 bis 31.07.2016 sei dem Arbeitgeber unverzüglich vorgelegt worden. Als sie bei ihrer Arbeitsstätte vorgesprochen habe, sei ihr lediglich mündlich mitgeteilt worden, dass sie nicht mehr zu kommen brauche. Die Kündigung sei erst mit Schreiben vom 08.12.2016 an die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin bekannt gegeben worden. Bis dahin sei das Beschäftigungsverhältnis nicht wirksam beendet worden. Folglich sei die Antragstellerin länger als zwölf Monate beschäftigt gewesen.
Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2017 zurück. Dagegen erhob die Antragstellerin am 18.04.2017 Klage bei dem Sozialgericht Köln (S 15 AS 1520/17).
Die Antragstellerin hat am 14.03.2017 einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei dem Sozialgericht Köln gestellt. Sie habe Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, hilfsweise habe sie Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII). Ergänzend hat sie vorgetragen, dass das letzte Gehalt am 15.08.2016 geflossen sei.
Der Antragsgegner hat darauf verwiesen, dass die Antragstellerin nicht mehr als zwölf Monate ununterbrochen im Bundesgebiet arbeitstätig gewesen sei, sondern lediglich vom 03.09.2015 bis 31.07.2016. Nach Februar 2017 stünden der Antragstellerin daher keine Leistungen mehr zu. Seit dem 01.08.2016 gehe die Antragstellerin keiner Erwerbstätigkeit mehr nach.
Das Sozialgericht Köln hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 29.03.2017 abgelehnt. Hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung sei ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden, da solche Kosten aufgrund der Obdachlosigkeit der Antragstellerin tatsächlich nicht anfielen. Im Übrigen sei ein Anordnungsanspruch auf die Gewährung des Regelbedarfs nicht glaubhaft gemacht worden. Die Antragstellerin könne sich nicht auf ein Daueraufenthaltsrecht berufen, da sie sich erst seit Januar 2014 und damit keine fünf Jahre im Bundesgebiet aufhalte. Sie verfüge auch nicht über ein Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmerin. Es sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, dass das Arbeitsverhältnis mehr als ein Jahr bestanden habe. Ein Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses über den 02.09.2016 hinaus könne nicht festgestellt werden. Der Leistungsausschluss sei auch europarechtskonform. Ebenfalls sei eine Beiladung des Sozialhilfeträgers nicht geboten gewesen, da ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII nach der seit der 29.12.2016 geltenden Fassung ausgeschlossen sei. Zweifel an der Verf...