Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Schätzung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers - Schwarzarbeit
Leitsatz (amtlich)
1. Hat der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nach § 28f Abs. 1 SGB 4 nicht ordnungsgemäß erfüllt, so ist der Rentenversicherungsträger nach Abs. 2 S. 3 dieser Vorschrift zur Schätzung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags berechtigt.
2. Bei der Wahl der Schätzmethode ist der Rentenversicherungsträger frei. Dabei muss er von sachlichen und nachvollziehbaren Erwägungen ausgehen.
3. Bei nachweisbarer Schwarzarbeit kann er sich hierbei auf die Feststellungen des Hauptzollamtes stützen.4. Der Schätzung des Nachforderungsbeitrags kann der Rentenversicherungsträger die tarifvertraglich geschuldeten Löhne zugrunde legen. Unerheblich ist dabei, ob der Arbeitgeber das hiernach geschuldete Arbeitsentgelt zahlt.
Orientierungssatz
Das in NRW eingesetzte eAktensystem lässt einen Bruch eines signierten Dokuments nicht zu. Es erzeugt vielmehr automatisch ein neues Dokument, sobald ein bereits signiertes Dokument erneut bearbeitet wird. Das bereits signierte Dokument bleibt
unveränderbar und revisionssicher gespeichert.
Speichert ein eAkten-System auch die nicht zur Hauptakte genommenen, aber signierten Dokumente samt Signaturprotokoll unveränderbar und untrennbar und wird eine (textidentische) beglaubigte Version der so gespeicherten Entscheidung - ebenfalls unveränderbar dokumentiert - mit Wissen und Wollen des Entscheiders den Verfahrensbeteiligten zugestellt worden, bestehen an der Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung und seiner Zustellung keine Zweifel.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.06.2023 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens jeweils mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten in beiden Rechtszügen selber trägt.
Der Streitwert wird auf 4.559,44 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen einen Betriebsprüfungsbescheid (§ 28p Abs. 1 Satz 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch ≪SGB IV≫) gerichteten Klage, mit dem die Antragsgegnerin ihn auf Nachentrichtung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Anspruch genommen hat.
Der Antragsteller ist seit dem Jahr 2010 Inhaber eines Bistros in TU. Da eine Strafanzeige gegen ihn, u.a. wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt, gestellt wurde, kontrollierte die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Hauptzollamtes Düsseldorf seinen Betrieb. Nachdem die Antragsgegnerin durch die FKS über Verstöße gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsgesetz - SchwarzArbG) informiert worden war, nahm sie am 10.08.2020 eine anlassbezogene Prüfung des Betriebs des Antragstellers hinsichtlich des Zeitraums vom 01.01. bis zum 31.12.2017 vor. Nach Anhörung des Antragstellers zum beabsichtigten Nachforderungsbescheid beanspruchte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 23.10.2020 einen Betrag von 18.273,66 EUR von ihm, wovon 13.291,66 EUR auf offene Sozialversicherungsbeiträge und 4.982,00 EUR auf Säumniszuschläge entfielen. Zur Begründung führte sie aus, der Antragsteller sei unter Berücksichtigung seiner eigenen Arbeitskraft sowie der geringfügig angestellten Mitarbeitenden nicht in der Lage gewesen, die betrieblichen Öffnungszeiten vollumfänglich abzudecken. Die Anzahl unterdeckter Stunden sei einer fiktiven Person zuzuordnen. Hieraus sei unter Zugrundelegung der im Entgelt-Tarifvertrag des Hotel- und Gaststättengewerbes vorgegebenen Mindestentgelte ein fiktives Jahresentgelt zu berechnen, welches als Grundlage für die unterlassene Beitragsabführung diene. Gegen den Nachforderungsbescheid legte der Antragsteller am 27.10.2020 Widerspruch ein und eidesstattliche Versicherungen seines Sohnes sowie eines regelmäßigen Gastes vor. Die Antragsgegnerin holte zudem weitere Erkundigungen ein. Mit Bescheid vom 30.03.2022 half die Antragsgegnerin dem Widerspruch in geringem Umfang ab und reduzierte - aufgrund eines Rechenfehlers - die Nachforderung um 35,89 EUR auf 18.237,77 EUR. Im Übrigen wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2022 zurück.
Mit Schreiben vom 19.08.2022 erhob der Antragsteller Klage bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf - S 31 BA 78/22 - und vertiefte sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Die Zugrundelegung einer Öffnungszeit von täglich 23 Stunden durch die Antragsgegnerin sei überzogen und entspräche nicht den Tatsachen. Allein deshalb sei die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen bereits unzulässig. Die Antragsgegnerin habe überdies den Sachverhalt nicht im gebotenen Maße aufgeklärt, da sie die von ihm angebotenen Zeugen nicht vernommen und die eidesstattlichen Versicherungen zu Unrecht nicht berücksichtigt habe.
Mit gesondertem Schreiben vom 25.10.2022 hat der Antragsteller die Anor...