Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelrabattvertrag ist öffentlicher Lieferauftrag iS von § 99 GWB. Prüfungsumfang im Vergabenachprüfungsverfahren. Krankenkassen keine Unternehmen iS des EU-Kartellrechts. Ausschreibungsumfang. Auswahl der Zuschlagskriterien. Ermessensspielraum des Auftraggebers. Regelung des § 130a Abs 8 SGB 5 verstößt nicht gegen Verfassungsrecht. keine Ersetzung der Bewertung der Vergabestelle durch Vergabekammer und gerichtliche Nachprüfungsinstanz
Orientierungssatz
1. Bei Arzneimittelrabattverträgen handelt es sich um öffentliche Lieferaufträge iS von § 99 GWB. Im Vergabenachprüfungsverfahren ist allein zu prüfen, ob der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten hat. Im Hinblick auf eine geltend gemachte Verletzung kartellrechtlicher Vorschriften ist der Rechtsweg in das vergaberechtliche Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren nicht eröffnet.
2. Beim Abschluss von Rabattverträgen nach § 130a Abs 8 SGB 5 handeln die Krankenkassen nicht als Unternehmen iS von den Art 81, 82 EG-Vertrag (juris: EG) (vgl EuGH vom 16.3.2004 - C-264/01 = SozR 4-6035 Art 81 Nr 1).
3. Der Ausschreibende muss die Leistung eindeutig und so erschöpfend beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinn verstehen können und deren Angebote miteinander verglichen werden können.
4. Bei der Auswahl der Zuschlagskriterien steht dem Auftraggeber ein lediglich beschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum zu. Zulässige Beanstandungen beschränken sich darauf, dass die Vergabestelle einen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt, aus sachfremden Erwägungen heraus gehandelt oder Bieter ungleich behandelt hat.
5. Für eine Verfassungswidrigkeit des § 130a Abs 8 SGB 5 besteht kein Anhaltspunkt. Sowohl der Vergabekammer als auch den gerichtlichen Nachprüfungsinstanzen ist es bei der Überprüfung verwehrt, ihre eigene Beurteilung an die Stelle der Bewertung der Vergabestelle zu setzen.
Tenor
Der Antrag der Beschwerdeführerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 16.03.2009 (3 VK-37/09) über den 24.04.2009 hinaus bis zu einer Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu verlängern, wird abgelehnt.
Gründe
I.
Umstritten ist die Rechtmäßigkeit der Ausschreibung von Arzneimittelrabattverträgen.
Die Antrags- und Beschwerdegegnerinnen (AG) haben den Abschluss von Rabattvereinbarungen gemäß § 130a Abs. 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in einem EU-weit bekannt gemachten offenen Verfahren (Bekanntmachungsnummer 2008/S 154-20 79 65) für eine Vertragslaufzeit von zwei Jahren ausgeschrieben. Gegenstand der wirkstoffbezogenen Ausschreibung sind nicht patentgeschützte Arzneimittel (Generika) in (jetzt noch) 63 Fachlosen (Wirkstoffe) und 5 Gebietslosen. Das Gebietslos 1 umfasst die AOK Bayern mit etwa 4,1 Millionen Versicherten, das Gebietslos 2 die AOK Rheinland-Hamburg und AOK Westfalen-Lippe (ca. 5 Millionen Versicherte), das Gebietslos 3 die AOK Hessen und AOK Plus (ca, 4,3 Millionen Versicherte), das Gebietslos 4 die AOK Baden-Württemberg, AOK Rheinland-Pfalz und AOK Saarland (ca. 5 Millionen Versicherte) und das Gebietslos 5 die AOK Berlin, AOK Brandenburg, AOK Bremen/Bremerhaven, AOK Mecklenburg-Vorpommern, AOK Niedersachsen, AOK Sachsen-Anhalt und AOK Schleswig-Holstein mit ca. 5,6 Millionen Versicherten.
Gegenstand der Ausschreibung waren (zunächst) die folgenden 64 Wirkstoffe:
Alendronsäure Levodopa + Benserazid Alfuzosin Levodopa + Carbidopa Allopurinol Lisinopril Amiodaron Lisinopril + HCT Amisulprid Melperon Amlodipin Metformin Azathioprin Metoclopramid Bisoprolol Metoprolol Bisoprolol + HCT Metoprolol + HCT Captopril Mirtazapin Captopril + HCT Molsidomin Carvedilol Moxonidin Cefaclor Nifedipin Cefuroxim Nitrendipin Ciprofloxacin Olanzapin Citalopram Omeprazol, Clarithromycin Paroxetin Diclofenac Ramipril Doxazosin Ramipril + HCT Doxepin Ranitidin Enalapril Risperidon Enalapril + HCT Roxithromycin Felodipin Sertralin Finasterid Simvastatin Furosemid Spironolacton Gabapentin Sumatriptan Glimepirid Tamsulosin Hydrochlorathiazid Terazosin Ibuprofen Torasemid Isosorbiddinitrat Tramadol Isosorbidmononitrat Trimipramin Itraconazol Verapamil
Hinsichtlich des Wirkstoffs Olanzapin ist die Ausschreibung wegen eines bestehenden Patentrechts zwischenzeitlich aufgehoben worden.
Nach den Verdingungsunterlagen hat jeder Bieter pro angebotenem Fachlos (Wirkstoff) und je Gebietslos einen "Rabatt-ApU" (Rabatt-Apothekenverkaufspreis) für alle Pharmazentralnummern (PZN) anzubieten, die er für den angebotenen Wirkstoff nach der "Lauer-Taxe" am 01. August 2008 (im Laufe des Ausschreibungsverfahrens geändert auf den 01.09.2008 - sog. Stichtag) im Sortiment hat. Gemäß § 2 Abs. 2 Rabattvertrag (RV) errechnet sich der Rabatt je PZN nach der Formel Rabatt = ApU (Apothekenverkaufspreis) - Rabatt-ApU. Der Rabatt-ApU wird dabei für die Vertragslaufzeit fest vereinbart. Im Falle einer Erhöhung der Abgabepreise nach Vertragsschluss er...