Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit einer erhobenen Beschwerde bei fehlendem Rechtsschutzinteresse wegen Unerreichbarkeit des Beschwerdeführers. Beschwerdefrist. Zustellung. Einstweilige Anordnung. Mitwirkung am Verfahren. Eilbedürftigkeit
Orientierungssatz
1. Die Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts ist nach § 173 SGG innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung an den Beschwerdeführer einzulegen. Ist ein Rücklauf der verfügten Zustellungsurkunde nicht aktenkundig und lässt sich nicht feststellen, wann der angefochtene Beschluss dem Beschwerdeführer zugestellt worden ist, so ist mangels feststellbarer Verfristung die erhobene Beschwerde zulässig.
2. Jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtsschutzinteresse voraus. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist zu verneinen, wenn der Kläger längere Zeit in einer Sache nichts mehr von sich hören lässt. Ein Rechtsschutzbedürfnis entfällt u. a., wenn der Kläger unbekannten Aufenthalts und zugleich unerreichbar ist. Reagiert der Beschwerdeführer auf Anfragen des Gerichts nicht und ist er auch unter wechselnden Adressen nicht erreichbar, so ist die erhobene Beschwerde mangels eines feststellbaren Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Normenkette
SGG §§ 173, 86b Abs. 2 S. 2, § 102 Abs. 2
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 29.06.2015 (Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung) wird zurückgewiesen. Die Beschwerde gegen Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 29.06.2015 (Ablehnung von Prozesskostenhilfe) wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die statthaften Beschwerden sind nicht zulässig. Sie sind überdies nicht begründet.
1. Die Beschwerden sind nicht zulässig. Unklar ist, ob die Beschwerde fristgerecht erhoben wurde (nachfolgend a). Jedenfalls aber sind die Beschwerden unzulässig, weil das Rechtsschutzinteresse fehlt (nachfolgend b).
a) Zur Beschwerdefrist bestimmt § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG):
Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen; § 181 des Gerichtsverfassungsgesetzes bleibt unberührt. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Belehrung über das Beschwerderecht ist auch mündlich möglich; sie ist dann aktenkundig zu machen.
Mit Schriftsatz vom 14.08.2015 hat der Antragsteller Beschwerde gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 29.06.2015 eingelegt. Wann diese Beschlüsse dem Antragsteller zugegangen sind, lässt sich der Akte nicht entnehmen. Zwei Zustellversuche unter Adresse "B N I, P-Str. 00, C" blieben erfolglos. Mit Schreiben vom 01.08.2015 hat der Antragsteller unter Adresse "D-Straße 00 / Hotel E, C" den Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 24.07.2015 übersandt und neuerlich zur Sache vorgetragen. Hierauf hat die Kammervorsitzende am 06.08.2015 verfügt, die Beschlüsse vom 29.06.2015 nochmals zuzustellen. Zugleich hat sie dem Antragsteller mitgeteilt, dass das Verfahren durch Beschluss vom 29.06.2015 beendet sei. Ein Rücklauf der verfügten Zustellurkunden ist nicht aktenkundig. Mit Schreiben vom 14.08.2015 hat der Antragsteller die Beschwerde unter der Adresse ("D-Straße 00 / Hotel E, C") handschriftlich begründet und im formulierten Antrag - schwer lesbar - eingefügt "(PE am 08.08.15 PZU)". Die Beschwerde ist am 01.09.2015 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangen. Am 24.09.2015 wurde der Antragsteller aufgefordert mitzuteilen, wann er den Beschluss des SG vom 29.06.2015 erhalten hat. Diese Anfrage kam als Retoure mit dem Bemerken zurück "Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln". Eine neuerliche Zuleitung der Anfrage retournierte mit dem handschriftlichen Zusatz "Empfänger unbekannt" am 03.11.2015.
Aus diesen Zusammenhängen folgt, dass sich nicht feststellen lässt, wann die Beschlüsse vom 29.06.2015 dem Antragsteller zugestellt worden sind. Infolgedessen ist nicht erweislich, dass die Beschwerde verfristet ist.
b) Die Beschwerden sind unzulässig. Jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (vgl. Senat, Beschluss vom 16.03.2011 - L 11 KA 96/10 B ER -). Daran fehlt es. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist zu verneinen, wenn der Kläger in einer Sache längere Zeit nichts mehr von sich hören lässt, insbesondere auf Schriftsätze der Gegenseite und Anfragen des Gerichts nicht reagiert (Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage, 2015, § 40 Rdn. 54). Zwar hat das Gericht die Möglichkeit den jeweiligen Kläger zum Betreiben des Verfahrens aufzufordern (§ 102 Abs. 2 SGG), dennoch gilt, dass das Rechtsschutzbedürfnis dann entfällt, wenn der Kläger unbekannten Aufenthalts und zugleich unerreichbar ist ("untergetaucht") ist (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 06.08.1996 - 9 C 169/95 -; Oberverwaltungsgericht Thüringen, Beschluss vom...