Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Aufklärung des Sachverhalts durch die Kassenärztliche Vereinigung. Darlegungs- und Beweislast des Vertragsarztes. Beweiswert einer tabellarischen Liste über erbrachte Leistungen. keine Berücksichtigung als unstrittiges Beteiligtenvorbringen bei Nichtäußerung der Kassenärztlichen Vereinigung

 

Orientierungssatz

1. Zur Frage, inwieweit die Kassenärztliche Vereinigung verpflichtet ist, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, inwieweit ein Vertragsarzt verpflichtet ist, die tatsächlichen Grundlagen des von ihm geltend gemachten Anspruchs losgelöst von der Amtsermittlungspflicht der Kassenärztlichen Vereinigung darzulegen und ggf zu beweisen und wer die objektive Beweislast für Anspruchsgrundlagen, Einreden oder Einwendungen trägt.

2. Eine im Streit um die Vollziehung einer Honorarrückforderung beigefügte tabellarische Liste über im Regresszeitraum erbrachte Leistungen ist tendenziell untauglich, die fraglichen Behauptungen zu beweisen. Sie hat keinen eigenständigen Beweiswert und reduziert sich auf eine Substantiierung des Vortrags.

3. Beteiligtenvorbringen kann den geltend gemachten Anspruch nur dann stützen, wenn es unstrittig ist. Äußert sich der Anspruchsgegner (hier die Kassenärztliche Vereinigung) nicht, kann jedenfalls im Verwaltungsverfahren und im SGG-Verfahren nicht unbesehen unterstellt werden, die fragliche Tatsache sei nunmehr unstrittig.

 

Normenkette

SGB V § 106a Abs. 2 S. 1 Hs. 1, § 87 Abs. 2d S. 1, §§ 39, 106; BGB § 611 Abs. 1 HS 2; SGB X §§ 20, 21 Abs. 2 S. 1, §§ 50, 8; BMV-Ä § 45 Abs. 1, 3 S. 1; SGG § 103 S. 1 Hs. 2, § 86b Abs. 2 S. 4, § 85 Abs. 1-2, § 83; BVG § 1 Abs. 3, § 15; ZPO § 294 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.01.2016 abgeändert. Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 3.874,88 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Vollziehung einer Honorarrückforderung. Die Antragstellerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) von drei in X zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Fachärzten für Urologie. Mit Bescheid vom 10.07.2015 hob die Antragsgegnerin die der Antragstellerin erteilten Honorarbescheide für die Quartale I/2011 bis IV/2014 teilweise in Höhe von 138.748,77 EUR auf und forderte diesen Betrag zurück. Kapitel 31.2.2 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM), überschrieben mit "Definierte operative Eingriffe an der Körperoberfläche", setze für die Berechnung eines dermato-chirurgischen Eingriffs die obligate histologische Untersuchung entnommenen Materials und/oder eine Bilddokumentation des prä- und postoperativen Befundes voraus. Nach Durchsicht von 42 Behandlungsfällen habe sie festgestellt, dass die Antragstellerin in keinem Fall den histologischen Befund und/oder eine Bilddokumentation vorgelegt habe. Die eingereichten Dokumentationen hätten lediglich aus Karteikartenauszügen und Arztbriefen bestanden. Der Inhalt der abgerechneten Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen (GOP) 31102 EBM (dermatochirurgischer Eingriff der Kategorie A2), 31503 EBM (Postoperative Überwachung im Anschluss an die Erbringung einer Leistung entsprechend u.a. der GOP 31102) und 31609 EBM (Postoperative Behandlung nach der die Erbringung einer Leistung entsprechend u.a. der GOP 31102) sei nicht erfüllt, daher erfolge eine Korrektur in die Leistung nach GOP 02302 EBM (Kleinchirurgischer Eingriff III und/oder primäre Wundversorgung bei Säuglingen, Kleinkindern und Kindern).

Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch hat die Antragstellerin geltend gemacht, die Abrechnungsvoraussetzungen einer histologischen Untersuchung und/oder einer Bilddokumentation des prä- und postoperativen Befundes für die Durchführung der GOP 31102 sei wegen Fehlens eines sachlichen Grundes rechtswidrig. Im Verhältnis zu Zirkumzisionen ambulant durchführender Krankenhäuser liege eine grundrechtsrelevante Ungleichbehandlung vor. Krankenhäusern obliege eine solche Kontroll- und Überwachungspflicht nicht. Die regressierte Summe sei rechnerisch nicht nachvollziehbar. Bei den 1.118 zur Diskussion stehenden und operierten Patienten habe sie 212 Histologien und für 81 Patienten Fotodokumentationen gefertigt. Zum Beleg verweise sie auf die beigefügten Falllisten. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23.09.2015). Hiergegen richtet sich die am 05.10.2015 zum Aktenzeichen S 2 KA 336/15 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobene Klage.

Am 19.11.2015 hat die Antragstellerin um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und u.a. vorgetragen: Sie habe mit der Antragsgegnerin vereinbart, dass das Honorar bis zur erstinstanzlichen Entscheidung nur dann einbehalten werde, wenn die Realisierung aus in der Person des Vertragsarztes liegenden Gründen gefährdet erscheine. Das sei bei der Antragstellerin, die in Abstimmung mit dem Berufsverband Deutscher Urologen e.V. eine von ...

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