Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Bedarfsgemeinschaft. Vermutung der Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Untersuchungsgrundsatz. Anhaltspunkte für Auflösung der Haushaltsgemeinschaft. einstweiliger Rechtsschutz. Reduzierung der Regelleistung

 

Orientierungssatz

1. Zum Vorliegen ausreichender Anhaltspunkte für eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c iVm § 7 Abs 3a Nr 1 SGB 2.

2. Im Rahmen der Amtsermittlung sind die Behörden und im Falle eines Rechtsstreits auch die Gerichte bei der Feststellung, ob eine Haushaltsgemeinschaft vorliegt, in besonderer Weise auf die gesetzlich vorgeschriebene Mitwirkung der Beteiligten (§§ 21 Abs 2 S 1 SGB 10, 103 S 1 SGG) angewiesen. Unklarheiten, die sich aus widersprüchlichen oder unwahren Angaben der Beteiligten ergeben, können sich daher im Einzelfall zu deren Lasten auswirken.

3. Bei einem in wesentlichen Punkten widersprüchlichen und unglaubhaften Vorbringen ist das Gericht nicht gehalten, diesem Vorbringen nachzugehen (vgl LSG Essen vom 6.1.2006 - L 1 B 13/05 AS ER).

4. Von einer Auflösung einer Haushaltsgemeinschaft kann erst dann ausgegangen werden, wenn ernsthafte tatsächliche Anstrengungen zum Auszug eines Beteiligten unternommen werden; diese Anstrengungen müssen in einer permanenten Beobachtung des Mietmarktes und dem beständigen Versuch bestehen, Kontakte zu Vermietern aufzunehmen.

5. Eine Reduzierung des Zahlbetrags der Regelleistung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn die tatsächlichen Verhältnisse zumindest noch nicht vollständig geklärt sind (vgl LSG Essen vom 7.12.2006 - L 19 B 121/06 AS ER).

 

Tenor

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt G, F-str. 00, N, beigeordnet. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 16.08.2006 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin für den Monat August 2006 Kosten der Unterkunft in Höhe von 325,00 EUR, für die Monate September 2006 bis Januar 2007 Regelleistung und Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 385,00 EUR zu gewähren. Die weiter gehende Beschwerde der Antragstellerin und die Beschwerde der Antragsgegnerin werden zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen zu zwei Dritteln dem Grunde nach.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) II ab August 2006 sowie die Übersendung von Antragsunterlagen im Wege der einstweiligen Anordnung.

Die 1978 geborene, seit 1997 in Deutschland lebende Antragstellerin wohnte bis 2003 in F und zog dann nach N, um dort eine Anstellung als Zahnarzthelferin zu finden. Am 01.04.2004 bezog sie mit dem Zeugen N eine Mietwohnung in der T-str. 00 in N, wobei der Mietvertrag auf beider Namen lautete. Nach eigenen Angaben der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin erklärte sich der Vermieter mit der Vermietung der Wohnung auch an sie einverstanden, nachdem der Zeuge N erklärt hat, er werde für einen eventuellen Mietausfall der Antragstellerin einstehen. Bis zum 31.12.2004 erhielt die Antragstellerin Arbeitslosenhilfe und Wohngeld, anschließend bis zum 31.05.2006 Alg II in Höhe von monatlich 616,85 EUR (345,00 EUR Regelleistung zuzüglich 271,85 EUR anteiliger Kosten der Unterkunft). Im Frühjahr 2006 kaufte der Zeuge N für nach eigenen Angaben 30.000 EUR eine Eigentumswohnung in der D 00 in N. Mit Schreiben vom 15.03.2006 kündigte die Antragstellerin das Mietverhältnis zum 30.06.2006. Am 07.04.2006 ging sie zum 01.06.2006 ein Mietverhältnis mit dem Zeugen N in dessen Wohnung in der D ein, wobei sich die Miete auf 330,00 EUR (Grundmiete 250,00 EUR zuzüglich Heiz- und Warmwasservorauszahlung von 20,00 EUR sowie Betriebskostenvorauszahlung von 60,00 EUR) beläuft. In dieser Wohnung bewohnt die Antragstellerin ein Zimmer von 18,67 m2, das der Zeuge N auf seine Kosten mit einem Doppelbett und einem dreitürigen Kleiderschrank eingerichtet hat. Des weiteren verfügt die Wohnung über ein Zimmer von 11,07 m2, das der Zeuge N als Arbeits- und Schlafzimmer nutzt, sowie Wohnraum und Küche zur gemeinsamen Nutzung. Ferner befinden sich in der Wohnung ein Bad (3,93 m2) und ein Gäste-WC (1,63 m2), in dem sich der Zeuge N nach eigenen Angaben wäscht und rasiert. Am 10.05.2006 meldeten sich sowohl die Antragstellerin als auch der Zeuge N beim Bürgeramt der Stadt N um. Für den Juni 2006 zahlte die Antragstellerin ihren Teil der Miete an den Vermieter der Wohnung in der T-straße. Zur Frage, ob sie im Juni 2006 auch an den Zeugen N Miete gezahlt hat, machen sie und der Zeuge unterschiedliche Angaben. Bis zum 31.07.2006 gewährte die Antragsgegnerin der Antragstellerin Alg II. Zum 08.08.2006 begann die Antragstellerin in der Zahnarztpraxis L ein bis zum 07.08.2008 laufenden Umschulungsvertrag, aus dem sie monatlich 216,00 EUR erhält (im August 2006 anteilig 162,00 EUR).

Auf ihre...

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