Entscheidungsstichwort (Thema)

Folgenabwägung bei der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen an einen EU-Neubürger durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 bei einem bulgarischen Staatsangehörigen als EU-Neubürger eingreift, kann in der summarischen Prüfung des einstweiligen Rechtsschutzes nicht geklärt werden. Wegen des existenzsichernden Charakters der Leistungen des SGB 2 fällt die danach anzustellende Folgenabwägung regelmäßig zugunsten des Antragstellers aus.

2. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Grundsicherungsträger seine finanziellen Belange durch die Anmeldung eines Erstattungsanspruchs nach §§ 102 ff. SGB 10 beim örtlichen Sozialhilfeträger wahren kann. Bei einem Eingreifen des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 käme ein Anspruch auf Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB 12 in Betracht. Auch bei Eingreifen des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs. 3 SGB 12 besteht ein Anspruch auf Sozialhilfe im Ermessenswege, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Das Existenzminimum eines Ausländers ist auch bei kurzer Aufenthaltsdauer in jedem Fall sicherzustellen.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.05.2014 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Gründe

I.

Streitig ist die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Der am 00.00.1992 geborene Antragsteller ist bulgarischer Staatsangehöriger und hält sich seit dem 29.07.2010 in Deutschland auf. Zunächst bewohnte er zusammen mit seiner Mutter eine im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners gelegene Wohnung. Beide bezogen Leistungen nach dem SGB II. Am 15.03.2013 zog die Mutter des Antragstellers in eine eigene Wohnung, die 50 m² groß ist, zwei Zimmer hat und in X liegt. Der Antragsteller verblieb zunächst in der gemeinsam mit seiner Mutter bewohnten Wohnung, die er - nach Mietrückständen und fristloser Kündigung der Vermieterseite - mittlerweile aufgegeben hat. Seither übernachtet der Antragsteller wechselweise bei Freunden und seiner Mutter. Der Antragsteller wurde durch Konferenzbeschluss vom 17.03.2014 von der C Volkshochschule wegen Fehlzeiten aus einem zum Realschulabschluss führenden Lehrgang ausgeschlossen. Leistungen nach dem BAFÖG und die Zahlung von Kindergeld wurden ab April 2014 eingestellt. Nach Absprache mit der Volkshochschule kann der Antragsteller ab August 2014 (Beginn des neuen Schuljahres) den Lehrgang wieder besuchen.

Den am 19.03.2014 gestellten Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 10.04.2014 ab. Der Antragsteller halte sich alleine zum Zweck der Arbeitsuche in Deutschland auf und sei daher von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Über den Widerspruch des Antragstellers gegen diesen Bescheid ist nach Aktenlage bislang nicht entschieden worden.

Am 05.05.2014 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Düsseldorf die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung der Regelleistungen nach dem SGB II beantragt. Der Antragsteller hat am 07.05.2014 eidesstattlich versichert, mittellos zu sein.

Mit Beschluss vom 20.05.2014 hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab dem 05.05.2014 bis zum bestandskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens bzw. rechtskräftigen Abschluss eines evtl. Klageverfahrens, längstens jedoch bis zum 19.08.2014, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 391,00 EUR monatlich zu gewähren. Ob der Leistungsausschluss bei Aufenthalt allein zur Arbeitsuche greife, sei umstritten, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes jedoch nicht abschließend klärbar, weshalb im Wege der Folgenabwägung Leistungen zuzusprechen seien.

Gegen den am 21.05.2014 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 26.05.2014. Der Antragsgegner ist der Überzeugung, dass der Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II wirksam ist und im Falle des Antragstellers auch greift. Insbesondere ergebe sich aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Brey kein Hinweis darauf, dass der EuGH den Leistungsausschluss europarechtlich in Frage stelle.

Der Antragsteller stützt den angefochtenen Beschluss.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Zutreffend hat das Sozialgericht im Wege der Folgenabwägung im tenorierten Umfang Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zugesprochen.

Den für den Erlass der Regelungsanordnung § 86b Abs. 2 SGG erforderlichen Anordnungsgrund hat der Antragsteller glaubhaft gemacht. Nach Einstellung der Leistungen sowohl nach dem BAFÖG als auch nach dem BKGG verfügt der Antragsteller nicht mehr über die zum Bestreiten seines Lebensunterhalts erforderlichen Mitte...

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