Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss einer Untätigkeitsbeschwerde wegen überlanger Verfahrensdauer
Orientierungssatz
1. Ohne gesetzliche Grundlage kann nicht allein aufgrund Richterrechts eine Untätigkeitsbeschwerde erhoben werden, um auf ein laufendes Verfahren einzuwirken.
2. Nach der Rechtsprechung sowohl des BVerfG als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist eine richterrechtlich begründete außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde kein wirksamer Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer.
Tenor
Die (Untätigkeits-) Beschwerde des Klägers vom 02.03.2010 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers wird abgelehnt.
Gründe
I. Die vom Kläger am 02.03.2010 erhobene Untätigkeitsbeschwerde ist unzulässig.
Das Rechtsschutzsystem des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sieht anders als bei Untätigkeit der Verwaltung, gegen die unter den Voraussetzungen des § 88 SGG Untätigkeitsklage erhoben werden kann, gegen die Untätigkeit eines Gerichts - sofern eine solche zu konstatieren sein sollte - keine Rechtsbehelfe vor (vgl. bereits den Beschlüsse des erkennenden Senats vom 30.06.2006 - L 20 B 69/06 AS m.w.N. sowie vom 12.09.2008 - L 20 B 97/08 AS ER).
Auch das Bundessozialgericht (BSG) hat etwa mit Beschluss vom 04.09.2007 - B 2 U 308/06 B (vgl. jüngst auch Beschluss vom 19.01.2010 - B 11 AL 13/09 C) im Anschluss an den Beschluss vom 21.05.2007 - B 1 KR 4/07 S - darauf hingewiesen, dass ohne gesetzliche Grundlage nicht allein aufgrund Richterrechts eine Untätigkeitsbeschwerde statthafterweise erhoben werden könne, um auf ein laufendes Verfahren einzuwirken. Es verstoße nämlich gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit, wenn von der Rechtsprechung außerordentliche Rechtsbehelfe außerhalb des geschriebenen Rechtes geschaffen würden, um tatsächliche oder vermeintliche Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen (BVerfG - Kammer - Beschluss vom 16.01.2007 - 1 BvR 2803/06 - NJW 2007, 2538).
Dementsprechend geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) davon aus, dass eine richterrechtlich begründete außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde kein wirksamer Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer ist (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 08.06.2006, EuGRZ 2007, 255 = NJW 2006, 2389).
II. Bereits mangels hinreichender Erfolgsaussicht im Sinne der §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe daher nicht in Betracht.
III. Das Sozialgericht wird, bevor es ggf. eine (neuerliche) Betreibensaufforderung im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht zieht (vgl. zur Beschränkung der Fiktion der Klagerücknahme "nur in eng begrenzten Ausnahmefällen" Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Auflage 2008, § 102 Rn. 8a), über den bereits mit Klageerhebung am 29.06.2009 gestellten Prozesskostenhilfeantrag zu befinden haben.
Vorsorglich weist der Senat hinsichtlich des erteilten Hinweises gemäß § 106a Abs. 2 SGG darauf hin, dass das Gesetz von Angaben zu bestimmten Vorgängen spricht. Daher werden die Rechtsfolgen nach Abs. 3 der Vorschrift nur dann eintreten können, wenn der Beteiligte zuvor in einer gerichtlichen Verfügung hinreichend konkret und deutlich auf den Vorgang hingewiesen wird, zu dem Angaben zu machen bzw. Beweismittel vorzulegen und zu benennen sind (vgl. etwa Leitherer, a.a.O., § 106a Rn. 9; zum grundsätzlichen Vorrang des Amtsermittlungsgrundsatzes vgl. Leitherer, a.a.O., Rn. 13, 15).
Hinsichtlich der erforderlichen Zustellung(en) im Zusammenhang mit §§ 102 Abs. 2 SGG und Fristsetzungen nach § 106a SGG weist der Senat - ebenfalls nur vorsorglich - zum einen auf die Problematik einer fehlenden Beglaubigung des zuzustellenden Schriftstücks durch die Geschäftsstelle hin (§ 63 Abs. 2 SGG i.V.m. 169 Abs. 2 ZPO; vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 06.07.2007 - 8 PKH 2/07; Landessozialgerichts [LSG] für das Land Nordrhein-Westfalen [NRW], Beschluss vom 23.10.2006 - L 1 B 35/06 AS hat insoweit ausgeführt: " Bei einer Zustellung von Amts wegen wird nicht die Urschrift, sondern vielmehr eine beglaubigte Ablichtung [oder ggf. eine Ausfertigung] der Urschrift zugestellt [vgl. Hartmann in Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 63. Auflage 2005, § 169, Rdn. 1]. Die Beglaubigung ist eine Abschrift, auf der bezeugt wird, dass sie mit der Urschrift [oder einer Ausfertigung] übereinstimmt. Einer Beglaubigung bedarf es insbesondere auch bei Ablichtungen und/oder Ausdrucken [vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 26. Auflage 2004, § 169, Rdn. 5 f.]. Die zwingend erforderliche Beglaubigung ist im vorliegenden Fall unterblieben. Fehlt es jedoch an einer Beglaubigung, so ist die Zustellung unwirksam [vgl. Stöber in Zöller, ZPO, § 169, Rdn. 12; Hüßtege, a.a.O., Rn. 9, beide m.w.N.]").
Zum anderen dürfte die Paraphe auf der gerichtlichen Verfügung den Formerfordernissen nicht genügen (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 09.05.2006 - L 1 ...