Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Passivlegitimation eines Landkreises bei Übertragung der Aufgaben als Grundsicherungsträger an die kreisangehörigen Gemeinden. vorläufiger Leistungsanspruch im sozialgerichtlichen Eilverfahren bei tatsächlicher Leistungskürzung ohne entsprechende Aufhebungsentscheidung

 

Orientierungssatz

1. Hat ein Landkreis (hier: Kreis Minden-Lübbecke) von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, die kreisangehörigen Gemeinden zur Durchführung der Aufgaben als zugelassener Träger der Grundsicherungsleistungen heranzuziehen und sich dabei lediglich das Recht zur Durchführung von Rechtsbehelfs- und Rechtsstreitverfahren vorbehalten, so ist die jeweilige Gemeinde im einstweiligen Verfügungsverfahren über eine vorläufige Leistungsgewährung passivlegitimiert. Auch eine Beiladung des Kreises kommt nicht in Betracht, da dieser auch ohne die Beiladung ausreichend in das Verfahren einbezogen ist.

2. Eine (teilweise) Kürzung von Grundsicherungsleistungen trotz bestandskräftigen Leistungsbescheides ohne einen entsprechenden Aufhebungsbescheid rechtfertigt den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Auszahlung der im Bescheid zuerkannten vollständigen Grundsicherungsleistung.

 

Tenor

1. Der Antrag des Kreises Minden-Lübbecke auf Änderung des Rubrums und seiner Aufnahme als Antragsgegner anstelle der bisherigen Antragsgegnerin Stadt Q sowie der Hilfsantrag auf seine Beiladung werden abgelehnt.

2. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 28. Juni 2005 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller und seinem Sohn für Mai und Juni 2005 die bisherige Regelleistung einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung zu 100 % und nicht nur zu 80 % auszuzahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

3. Kosten sind nicht zu erstatten.

4. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin W in N beigeordnet.

 

Gründe

Zu 1): Der Antrag des Kreises MInden-Lübbecke, ihn als Antragsgegner (Ag) im vorliegenden Verfahren im Rubrum zu erfassen, wird abgelehnt. Nach §§ 6 a Abs. 1 i.V.m. 6 Abs. 2 SGB II hat der Kreis von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, die kreisangehörigen Gemeinden zur Durchführung der ihm nach § 6 a Abs. 1 SGB II übertragenen Aufgaben als zugelassener Träger heranzuziehen. Maßgebend ist insoweit die Satzung über die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II im Kreis Minden-Lübbecke vom 16.12.2004 (Amtliches Kreisblatt - Amtsblatt für den Kreis Minden-Lübbecke - 2004, Seite 264 ff). Danach hat er nach §§ 1, 4, 5 Satzung die Entscheidungen über die zu erbringenden Leistungen den Gemeinden zur eigenen Entscheidung übertragen und sich nach § 8 Satzung nur die Durchführung von Rechtsbehelfs- und Rechtsstreitverfahren vorbehalten. Da im vorliegenden Verfahren eine einstweilige Anordnung durch den örtlich zuständigen Leistungsträger begehrt wird (§ 36 SGB II) dieser durch die Satzung u.a. nach § 4 zum Erlass entsprechender Leistungsentscheidungen beauftragt ist und eine eigene Entscheidung des Kreises insoweit nicht ergeht, erstreckt sich § 8 Abs. 1 Satzung vorliegend lediglich auf die prozessuale Vertretung der Gemeinde im gerichtlichen einstweiligen Anordnungsverfahren. Diese verbleibt daher für dessen Dauer Ag.

Der Antrag auf Beiladung des Kreises wird ebenfalls abgelehnt, da insoweit seine berechtigten Interessen nicht derart nach § 75 Abs. 1 SGG berührt werden, dass diese durch eine Beteiligtenstellung zu sichern wären. Denn als Vertreter der Gemeinde - der Ag - im Beschwerdeverfahren und einer im Übrigen ihr gegenüber bestehenden Weisungsbefugnis hat er im Rahmen der Prozessvertretung des § 73 SGG ohne Weiteres die Möglichkeit, in diesem einstweiligen Anordnungsverfahren entsprechend seiner Auffassung vorzutragen und auf diese Weise seine Interessen wahrzunehmen.

Zu 2): Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 26.07.2005) ist für die Monate Mai und Juni 2005 begründet. Im Übrigen unbegründet.

Nachdem die Ag im Laufe des Verfahrens nach der zunächst erfolgten Leistungsablehnung mit Bescheid vom 12.05.2005 durch die weiteren Bescheide vom 06.06. und 27.06.2005 die Regelleistung für den Antragsteller (Ast) und seinen Sohn in Höhe von 80 % sowie 80 % der Unterkunfts- und Heizungskosten für Mai, Juni und Juli 2005 bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts gewährt, ist nur noch der weitergehende 20 %ige Anspruch im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens streitig.

Soweit die Monate Mai und Juni 2005 betroffen sind, hat der Ast einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus der Tatsache, dass die Ag dem Ast bescheidmäßig ursprünglich die vollen Leistungen bis 30.06.2005 bestandskräftig bewilligt hat (vgl. Aufforderungsschreiben vom 04.04.2005 zur Stellung des Folgeantrags ab 01.07.2005). Diesen Bescheid hat sie formell nicht nach §§ 45, 48 SGB ...

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