Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des Versicherten auf Behandlung mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes

 

Orientierungssatz

1. Ob der Versicherte gegenüber seiner Krankenkasse einen Anspruch auf Behandlung mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes hat, hängt u. a. von einer Folgenabwägung zwischen dessen privatem Interesse und dem fiskalischen Interesse der Krankenkasse ab.

2. Besteht die Gefahr, dass der Versicherte vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens irreversible Beeinträchtigungen erleidet, so ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn diese nicht unwirksam oder medizinisch nicht indiziert oder der Einsatz mit dem Risiko behaftet ist, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.01.2016 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragsteller für die Zeit vom 01.06.2016 bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens, spätestens bis zum 31.11.2016 mit extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen zu versorgen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten; die andere Hälfte trägt der Antragsteller selbst.

 

Gründe

Die nach §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Soweit der Antragsteller darüber hinaus die Versorgung mit extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen für ein Jahr begehrt, ist derzeit ein Regelungsbedürfnis nicht zu erkennen. Die Antragsgegnerin hat zunächst über den Widerspruch des Antragstellers gegen ihren Bescheid vom 03.12.2015 zu entscheiden und ist dabei im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht zu weiteren Sachverhaltsermittlungen gehalten (s.u.). Für diese erachtet der Senat einen Zeitraum von sechs Monaten für ausreichend (s. dazu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 10.02.2014 - L 9 KR 293/13 B ER - und 16.06.2015 - L 9 KR 99/15 B ER -). Nötigenfalls wird zeitig neuerlich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht werden müssen.

Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung nach Maßgabe der in Absatz 1 bzw. Absatz 2 genannten Voraussetzungen treffen. Danach ist zwischen Sicherungs- (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG) und Regelungsanordnung (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG) zu unterscheiden. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Die in tatsächlicher (Glaubhaftmachung) wie in rechtlicher Hinsicht (grundsätzlich summarische Prüfung) herabgesetzten Anforderungen für die Annahme eines Anordnungsanspruchs korrespondieren mit dem Gericht der glaubhaft zu machenden wesentlichen Nachteile. Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlichen und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.1005 - 1 BvR 569/05 -; Senat, Beschluss vom 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.09.2006 - L 10 B 2/06 KA ER -), es sei dann, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG, Beschluss vom 26.05.1995 - 1 BvR 1087/91 -). Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung einzustellen, da sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte zu stellen haben (vgl. BVerG, Beschlüsse vom 29.11.2007 - 1 BvR 2496/07 und 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, hierzu auch Senat, Beschlüsse vom 28.06.2013 - L 11 SF 74/13 ER (Morbus Rompe) und 19.11.2012 - L 11 KR 473/12 B ER - (Hyperthermie)). Dabei darf die einstweilige Anordnung grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen. Andererseits müssen die Gericht unter Umständen wegen der Kürze der zur Verfügung stehende Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln und Ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen können (Senat, Beschlüsse vom 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER - und 12.10.2009 - L 11 B ...

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