Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Vorabentscheidung durch den EuGH. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer. Anwendbarkeit auf Unionsbürger. Europarechtskonformität. EuFürsAbk. Wirksamkeit der Vorbehaltserklärung der Bundesregierung
Orientierungssatz
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gem Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Gilt das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 EGV 883/2004 - mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art 70 Abs 4 EGV 883/2004 - auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen iS von Art 70 Abs 1, 2 EGV 883/2004?
2. Falls 1) bejaht wird: Sind - gegebenenfalls in welchem Umfang - Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 EGV 883/2004 durch Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften in Umsetzung des Art 24 Abs 2 EGRL 38/2004 möglich, nach denen der Zugang zu diesen Leistungen ausnahmslos nicht besteht, wenn Unionsbürger in der Bundesrepublik Deutschland weder Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU 2004 freizügigkeitsberechtigt sind?
3. Falls 1) verneint wird: Stehen andere primärrechtliche Gleichbehandlungsgebote - insbesondere Art 45 Abs 2 AEUV iVm Art 18 AEUV - einer nationalen Bestimmung entgegen, die Unionsbürgern eine Sozialleistung in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts ausnahmslos verweigert, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, wenn diese Unionsbürger zwar weder Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 des FreizügG/EU 2004 freizügigkeitsberechtigt sind, aber eine tatsächliche Verbindung zum Aufnahmestaat und insbesondere zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats aufweisen können?
II. Der Senat geht davon aus, dass der von der Bundesregierung 19.12.2011 erklärte Vorbehalt gem Art 16 Buchst b EuFürsAbk wirksam ist.
Tenor
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gem. Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung der Verträge und der Gültigkeit und Auslegung von Sekundärrecht zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Gilt das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 Verordnung (EG) Nr. (EGV) 883/2004 - mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 EGV 883/2004 - auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen iS von Art. 70 Abs. 1, 2 EGV 883/2004?
2. Falls 1) bejaht wird: Sind - gegebenenfalls in welchem Umfang - Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 EGV 883/2004 durch Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften in Umsetzung des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG (RL 2004/38/EG) möglich, nach denen der Zugang zu diesen Leistungen ausnahmslos für die ersten drei Monate des Aufenthalts nicht besteht, wenn Unionsbürger in der Bundesrepublik Deutschland weder Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt sind?
3. Falls 1) verneint wird: Stehen andere primärrechtliche Gleichbehandlungsgebote - insbesondere Art. 45 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art. 18 AEUV - einer nationalen Bestimmung entgegen, die Unionsbürgern eine Sozialleistung in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts ausnahmslos verweigert, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, wenn diese Unionsbürger zwar weder Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, aber eine tatsächliche Verbindung zum Aufnahmestaat und insbesondere zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats aufweisen können?
II. Das Verfahren wird ausgesetzt.
Gründe
A. Gegenstand und Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
I. Streitgegenstand Streitig sind Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Monate August 2012 und September 2012.
II. Sachverhalt Die Kläger zu 1) bis 4) sind spanische Staatsangehörige; die Kläger zu 2) und zu 4) besitzen darüber hinaus die dominikanische Staatsangehörigkeit. Die Kläger zu 1) (geb. 00.00.1987) und 2) (geb. 00.00.1975) lebten seit Jahren in Spanien als Paar mit ihrem gemeinsamen Kind, der Klägerin zu 3) (geb. 00.00.2006), und dem Sohn des Klägers zu 2), dem Kläger zu 4) (geb. 00.00.1999), in einem gemeinsamen Haushalt zusammen und wirtschafteten gemeinsam. Der Kläger zu 2) hat für den Kläger zu 4) das Sorgerecht.
Die Klägerin zu 1) reiste zusammen mit der Klägerin zu 3) im April 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 01.06.2012 meldete sich die Klägerin zu 1) dann arbeitsuchend. Am 12.06.2012 nahm die Klägerin zu 1) eine Arbeit als Küchenhilfe auf; ab dem 01.07.2012 bei einem monatlichen Nettoarbeitsentgelt von 600,- EUR in einem sozialversicherungspflichtigen Umfang. Der Kläger zu 2) war in Spanien sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Ausweislich der Bescheinigung Portable Document (PD) U1 des spanischen Sozialversicherungsträgers legte der Kläger zu 2) mit Unterbrechungen zuletzt bis Febru...