Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgung nach dem Opferentschädigungsrecht wegen der Folgen sexuellen Missbrauchs

 

Orientierungssatz

1. Für einen Anspruch nach dem OEG müssen der schädigende Vorgang nachgewiesen und die gesundheitliche Schädigung ursächlich auf diesen Vorgang zurückzuführen sein.

2. Nach der Rechtsprechung des BSG ist im Fall einer seelischen Krankheit bei der Prüfung des Kausalzusammenhanges zu berücksichtigen, dass sich der Einfluss eines seelisch belastenden Vorganges, wie z. B. die Auswirkung von Sexualdelikten, auf die Entstehung eines seelischen Dauerleidens nicht sachgerecht gewichten lässt.

3. Eine in der Kindheit verübte Gewalttat in Form sexuellen Missbrauchs ist geeignet, neben einer posttraumatischen Belastungsstörung als weitere Schädigungsfolgen eine Borderline Persönlichkeitsstörung und eine sexuelle Funktionsstörung hervorzurufen.

4. Die Folgen psychischer Traumen mit schweren Störungen sind mit einer MdE von 50 bis 70 % zu bewerten. Eine mittelgradige soziale Anpassungsstörung mit Problemen sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich ist mit einer MdE von 50 % zu beurteilen.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichtes Münster vom 16.12.2004 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1963 geborene Kläger beantragte im April 2000 Versorgung nach dem OEG und gab an, in der Zeit von 1973 bis 1978 Opfer sexuellen Missbrauchs durch den Vater geworden zu sein.

Der Beklagte zog eine Aufstellung der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers von der Barmer Ersatzkasse sowie die Akten der Staatsanwaltschaft Münster (34 Js 266/86) bei. Aus diesen ergibt sich, dass der Vater des Klägers, Herr I L, mit Urteil des Landgerichts Münster vom 21.08.1987 wegen fortgesetzten sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist. Dabei wurden bis zum 14. Lebensjahr mindestens 36 Fälle zum Nachteil des Bruders des Klägers und mindestens 30 Vorfälle zum Nachteil des Klägers bis Mitte 1977 als nachgewiesen angesehen.

Der Beklagte holte Befundberichte von dem Internisten Dr. N, der Psychiaterin Dr. O und dem Allgemeinmediziner Dr. T ein, denen der Entlassungsbericht der X Klinik für Psychiatrie N1 über den Aufenthalt des Klägers vom 29.01.1996 bis zum 17.06.1996 beigefügt war. Sodann ließ er den Kläger durch den Psychiater Dr. X1 begutachten. Dieser diagnostizierte eine Persönlichkeitsstörung und eine posttraumatische Belastungsstörung. Für die posttraumatische Belastungsstörung hielt er eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert (v. H.) für angemessen. Die Persönlichkeitsstörung, die er als schädigungsunabhängig beurteilte, schätzte er mit einer MdE um 60 v. H. ein.

Nach versorgungsärztlicher Auswertung erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 18.09.2000 eine posttraumatische Belastungsstörung durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 OEG hervorgerufen an. Eine Rente könne nicht gewährt werden, weil die Schädigungsfolge keine MdE von wenigstens 25 v. H. erreiche. Ein besonderes berufliches Betroffensein wurde verneint.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte im Wesentlichen geltend, es sei eine MdE von mehr als 25 v. H. anzunehmen. Zur Begründung verwies auf das Parallelverfahren seiner Schwester. Bei dieser habe ebenfalls ein sexueller Missbrauch durch den Vater zwischen 1974 bis 1977 stattgefunden. Als Nachweis legte er den Bewilligungsbescheid vor. Danach hatte der Beklagte bei der Schwester des Klägers eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer MdE um 50 v. H. unter Hinweis auf § 10a OEG anerkannt. Des Weiteren reichte der Kläger einen Bericht der behandelnden Ärztin Dr. O sowie ein Gutachten der Diplom-Psychologin Frau S zu den Akten.

Nachdem der Beklagte den Reha-Entlassungsbericht der H-Klinik, Psychosomatische Fachklinik, über den Aufenthalt des Klägers vom 11.09.2000 bis zum 07.10.2000 beigezogen und die medizinischen Unterlagen versorgungsärztlich ausgewertet hatte, wies er den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 12.04.2001, zugegangen am 20.04.2001, zurück. Er führte aus, eine MdE um 25 v. H. werde nicht erreicht; bei dem Vergleich der Angelegenheit des Klägers mit der seiner Schwester sei zu berücksichtigen, dass jeder Fall individuell zu bewerten sei.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 21.05.2001 (Montag) vor dem Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, bei ihm und seiner Schwester handele es sich um vergleichbare Fälle. Jedenfalls sei die MdE zu gering bewertet worden, weil er unter erheblichen Beeinträchtigungen sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich leide. In diesem Zusammenhang hat er auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung durch Bescheid der LVA X2 vom 19.06.2001 hi...

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